Manu-Nationalpark - Grüner wird's nicht
von Max
15. August - 18. August 2022
Wir haben unsere Arbeit in Abancay am 12. August verlassen, weiter geht es im Manu-Nationalpark am 15. August. Warum dieser Anachronismus? Dazwischen sind wir in Cusco, aber da sind wir insgesamt viermal, also kriegt das einen eigenen Bericht in der Zukunft. Die exakt gleiche Tour in den Regenwald, die wir hier gebucht haben, haben drei verschiedene Agenturen für unseren Preis, den anderthalbfachen und den doppelten Preis angeboten. Wir haben nicht so ewig überlegt, welche Option wir wählen.
Früh morgens startet die Tour in Cusco, nur liegt Cusco noch in der sierra, der Gebirgsregion. Wir müssen also erstmal ein paar Meilen unter die Räder bekommen. Zum Aufwachen halten wir an diesen Grabstätten, noch im Hochland.
Wie unser Guide Chito denke auch ich, dass diese Karte nicht so schlecht ist, um den Manu-Nationalpark zu erklären. Es ist so: Im südlichen Zipfel des Parks befinden wir uns noch auf 4000 m Höhe. Nördlich davon beginnt der Wolken- und Nebelwald, der mit abnehmender Höhe langsam in den tropischen Regenwald übergeht. Bekanntermaßen besitzen Regenwälder eine immense Artenvielfalt. Zusammen mit den ebenfalls artenreichen Nebelwäldern bildet der Übergang der tropischen Anden ins Flachland hier ein Zentrum der "Megadiversität". Es gibt nur 17 Länder, die megadivers sind, darunter nur Peru und China, die fast alle der 34 (?) existierenden Mikroklimata aufweisen. Also ziemlich artenreich hier. Links die Aufzählung der Arten pro Tierfamilie. Alles grüne auf der Karte ist "unberührbares Gebiet". Wir dürfen also nur in die grauen Randbereiche eintauchen, solange wir keinen wissenschaftlichen Auftrag haben.
Das ist das Bild, was sich uns bietet, also wir mit dem Kleinbus langsam von über den Wolken nach unten rollen. Ich würde sagen, dass es in Wirklichkeit noch um ein Vielfaches eindrucksvoller war.
Das erste Tier, was uns über den Weg kriecht, ist diese Schlange hier. Dafür, dass Chito meint, dass ihr Biss tödlich ist, lässt er sie aber ziemlich locker vom Stock baumeln. So richtig sicher kann man sich aber nie sein, ob er die Sachen, die er sagt, ernst meint.
Als wir nach einiger Zeit auf unter 1000 m Höhe angekommen sind, können wir aus dem Bus steigen und ein paar Kilometer selber weiterwandern. Wir, das ist unsere Gruppe bestehend aus einem Pärchen aus den Niederlanden (hier zu sehen); einem Pärchen aus den USA; einem ukrainisches Pärchen, was schon seit Jahren in Ohio lebt, sowie ein interessantes Vater-Tochter-Gespann aus Argentinien (und wir). Der Regenwald hier hat einen markanten Geruch: es riecht nach Rosmarin und frittierten Kartoffeln.
Der Fluss, an dem wir uns aufhalten, heißt "Alto Madre de Dios" (sowas wie "Obere Mutter Gottes"). "Madre de Dios" haben der Legende nach die Spanier ausgerufen, als sie zum ersten Mal den Fluss und den Regenwald zu Augen bekommen haben. Der Fluss jedenfalls fließt dann in den "Madre de Dios", der in Brasilien "Rio Madeira" heißt und bei Manaus schließlich in den Amazonas fließt. So wie jeder Tropfen, der hier auf dem Boden landet - wir sind schließlich im Amazonasbecken. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie groß dieser Regenwald ist. Wir betreten ihn hier nur am äußersten Rand und dieser Fluss hier fließt unbeirrt tausende Kilometer weiter durch Wald und nichts als Wald. Hoffen wir, dass es noch lange so bleibt.
An diesem Termitennest hat sich wohl jemand einen Scherz erlaubt. Vielleicht war es Chito auf einer der vorherigen Touren, er bohrt nämlich noch ein bisschen dran rum.
Am zweiten Tag wechseln wir das Transportmittel. Im Regenwald ist es ein gutes Zeichen, wenn die Straßen aufhören und es nur noch mit dem Boot weitergeht. Straßen bringen für gewöhnlich Siedlungen, die zu Dörfern und Städten werden. Das bedeutet meistens nichts Gutes für den Wald.
Hier bin ich mal in meinem natürlichen Regenwald-Outfit zu sehen. Nur hätten wir statt der Plastetüte bei dem Spaziergang lieber einen Rucksack nehmen sollen. Chito verläuft sich nämlich ein wenig mit uns, sodass die Wanderung ein wenig länger dauert. In den Gummistiefeln, die wir ausgehändigt bekommen haben, läuft es sich auf langer Strecke extrem unbequem. Ich wechsle dann später wieder zu meinen Wanderschuhen, wenn auch auf eigene Gefahr, meint Chito. Wenn mich eine Schlange in die Wade gebissen hätte, wären wir nur vielleicht gerettet worden.
Was seht ihr denn da oben?
Aha, Kapuzineraffen!
Wir kommen mit dem Boot in unserer zweiten Unterkunft an, die als robuste Holzhütte einen guten Eindruck macht. Ich unserm Zimmer fällt uns dann alles entgegen, zum Beispiel die Tür. Die Hütte ist derart schräg, dass Laufen etwas schwierig ist und sich das ganze Duschwasser in einer Ecke der Dusche sammelt, statt in den Abfluss zu wandern. Wir können uns kurz ausruhen und werden dann von Chito zu einer weiteren Wanderung gebeten. Dass wir erstmal knapp 400 Meter nach oben klettern müssen, hatte er vorher nicht angekündigt. Direkt hinter unserer Herberge erheben sich nämlich noch die letzten Bergketten der Anden, bevor es weiter ostwärts nur noch flach ist. Immerhin sehen wir beim Aufstieg Spinnenaffen in den Baumkronen und haben dann schließlich diesen Ausblick.
Und diesen Anblick.
Dann bricht die Nacht herein und unsere Bergwanderung wird zu einer Nachtwanderung. Vor der Tour hatten wir meine Kopflampe noch um eine neue Kopflampe für Talja ergänzt. Gegenüber dem neuen Gerät erscheint meine Funzel wie ein dunkles Feuerzeug. Wir müssen also im Dunkeln wieder vom Berg herunter und machen dabei ein paar grauenhafte Entdeckungen.
Die drei Spinnen vom letzten Bild, so abstoßend sie auch waren, würden sicherlich einen Kampf gegen diesen Blauwal von Spinne verlieren. Oh, einer der oberen Spinnen habe ich übrigens genau an der Stelle des Baumes entdeckt, wo ich mich eigentlich abstützen wollte und im letzen Moment mit meinem Licht hingeleuchtet hatte. Man muss also aufpassen. Gemeinerweise haben viele Baumstämme auch einfach Stacheln.
Nach dem kräftezehrenden Abenteuer der letzen Nacht müssen wir am dritten Tag um 5 Uhr aufstehen, um im Morgengrauen wieder an Bord unseres Bootes zu gehen. Wir fahren zu einem Ort am Ufer des Flusses, an dem sich eine große Lehmwand befindet. Dort treffen sich jeden Morgen unzählige grüne guacamayas (Aras), um an der Erde zu knabbern. Dass sie das tun, um die Mineralien aufzunehmen, die sich sonst nirgendwo in der nährstoffarmen Regenwalderde finden lassen, ist ihnen wahrscheinlich nicht bewusst. Trotzdem kommen sie immer wieder hier her. Auch die typischen rot-blau-gelben Scharlacharas sehen wir später in einem großen Schwarm über uns vorüberziehen.
Auf dem Rückweg überraschen wir diesen Tapir, der grade ein Morgenbad nehmen wollte. Von uns erschrocken, kriecht er beleidigt aus dem Fluss heraus. Wir hatten hier gar keinen Tapir erwartet und könnten uns eigentlich freuen. Gleichzeitig bin ich bei der Begegnung aber eher betrübt. Vor allem hätte ich das Tier lieber beobachtet, ohne dass Chito hinten im Boot fünfmal "Macht Fotos, Leute!" sagt. Und mache ich trotzdem welche? Ja, sonst hätte mich Talja wahrscheinlich verhauen.
Die schönste Wanderung des Trips machen wir am Nachmittag, als wir zu einem Altarm des Flusses fahren. Oft sind Altarme die Biotope, in denen sich die meisten Tiere ungestört und ohne anstrengende Strömung aufhalten können. Tropische Flüsse bilden unzählige Altarme, da sie in der Regenzeit üblicherweise über die Ufer treten und regelmäßig in einem neuen Flussbett weiterfließen. Schaut man sich den "Madre de Dios" oder andere Flüsse im Amazonas auf einer Karte an, sieht man die unzähligen stillgelegten Schleifen neben dem Hauptfluss. Auf dieser Lichtung sehen wir riesige truthahnähnliche Vögel, die sehr merkwürdige Laute von sich geben. Erfolglos warten wir auf eine der Herden von pekaris (Nabelschweine), die hier manchmal die Gegen unsicher machen. Und mit unsicher meine ich unsicher. Einer der Gründe, warum es tiefer im Urwald mordsgefährlich ist, sind die Schweineherden von 100 bis 300 Tieren, die wenig rücksichtvoll durch die Wildnis pflügen.
Chito hatte seine Badehose dabei, hat uns aber auch Bescheid gesagt. Es ist so toll, in einem Amazonaszufluss zu baden! Es dauert wahrscheinlich länger, sich durch die Steine ins Wasser zu kämpfen, als dass wir im Wasser schwimmen. Die Strömung ist so heftig, dass wir fast am Boot, das am Ufer wartet, vorbeigespült werden.
Ich plansche hier einfach nur rum und genieße die Abkühlung.
Die montezuma oropendula (Montezumastirnvogel) bauen nicht nur diese pendelförmigen Nester, die Männchen haben sich auch ein passendes Brutritual zurechtgelegt. Folgendes: Sich an einem Ast festkrallend, lassen sie sich nach vorne fallen, nur um im letzten Moment wieder nach oben hochzupendeln. Sieht genau so aus, wie jemand, der nach einem langen Arbeitstag vor seinem Computer einschläft, mit dem Kopf nach vorne absackt und mit schlechtem Gewissen wieder hochschreckt. Dazu machen die Vögel dann ein Geräusch, das klingt wie ein Wassertropfen auf einem Synthesizer.
Am letzten Abend macht die Hälfte unserer Gruppe noch eine weitere Abendwanderung. Ganz besonders motiviert sind die beiden Niederländer, die sich dagegen aussprechen, statt einer weiteren anstrengenden Wanderung nur entspannt mit dem Boot herumzufahren. Das Ganze, nachdem sie direkt vor der Tour auf der 5-tägigen Salkantay-Wanderung (später mehr dazu) waren. Als sie dann noch auf der elend langen Rückfahrt im Bus stundenlang auf ihrem Handybildschirm schauen und ihre Weiterreise planen, ohne dass sie aussteigen und rückwärts essen müssen (wie jemand anderes aus unserer Gruppe), kommt mir endgültig die Vermutung, dass es sich um eine Art Übermenschen handeln muss. Zu den Hundespuren: Chito meint, dass seinen gar keine Hundespuren, sondern stammen von einem Jaguar! Sofort macht sich eine ganz andere Stimmung in unserer Gruppe breit. Wir laufen eine Viertelstunde am Ufer des Flusses lang, bereit, jederzeit einem Jaguar aus dem Weg springen zu müssen. Chito meint, letzte Woche haben sie auf der Tour tatsächlich einen Jaguar gesehen, wie er grade ein Pekari gejagt hat. Aber wir haben kein Glück/Pech. Falls er da war, hat er uns wahrscheinlich aus dem Gebüsch beobachtet, schlau genug, sich nicht entdecken zu lassen.
Noch ein paar weitere fragwürdige Tierchen, die wir auf unserem Weg durch den dunklen Regenwald erspähen.
Dann kommt der letze Morgen und mir geht es nicht mehr so gut. Nach ein paar Stunden im Bus ist es dann Talja, die kaum noch Energie hat, um sich zum Hostel zu schleppen. Irgendetwas an diesem Trip hat uns übel mitgespielt (das Essen wahrscheinlich) und wird uns noch eine Weile beschäftigen.
Zum Schluss eine kurze Reflexion am Flussufer: Die Tour in den Manu-Nationalpark war nicht unsere erste und beileibe nicht unsere letze Tour auf dieser Reise. Es ist nicht verwerflich, nach günstigen Optionen Ausschau zu halten. Das beste an den Touren sind oft die anderen Teilnehmer, so war es im Colca-Canyon und so wird es auch beim Salkanty-Treck sein. Eine weitere gewichtige Personalie ist der Guide, der Tourenführer. Da kann man Glück haben, oder man kann Chito haben. Wir werden bald davon erzählen, wie exzellent dieser Job ausgefüllt werden kann. Aber nicht in diesem Artikel. Zu den Tieren: Ein Regenwald ist kein Zoo und auch kein Reservat oder Wildgehege. Man kann Tiere sehen, die man nicht erwartet hatte, so wie wir den Tapir. Man kann auch gar nichts sehen, außer Krabbeltierchen und Riesenameisen. So oder so hinterlässt es ein eigenartiges Gefühl. Dass unser Guide bei der Entdeckung des Tapirs vor allem darauf bedacht war, dass die Leute genug Fotos machen, ist etwas, was mir nicht gefallen konnte. Gleichzeitig waren der Guide, die Bootsführer und Leute um uns der Natur gegenüber äußerst respektvoll, haben Müll aufgehoben, sich leise bewegt, Abstand bewahrt, den Motor gedrosselt, wenn ein Tier nahe war. Es bleibt bei mir aber das Gefühl, dass ich froh bin um jeden Jaguar, der sich nicht zeigen musste und sich vor uns Touristen verstecken kann, um jedes Capybara, dass uns in sicherer Entfernung aus seinem Bau beobachtet hat, um jedes Pekari, dass den Tag verschlafen hat, an dem es Menschen hätte begegen müssen. Das Biotop des Regenwaldes ist in seiner immensen, überbordenden Fülle und Grünheit ein gewaltiges Landschafts-Schauspiel, was allein seiner Pracht wegen den Besuch wert war. Mögen all die Bäume weitere Zeitalter derart fortbestehen und die Tiere sich verstecken können, wann immer sie wollen.