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Meliquina - Freiwilligenarbeit: Klappe, die Zweite

von Talja

13. November - 25. November 2022

Wir fahren mit dem Bus an Orten vorbei, die uns bekannt vorkommen. Erst vor anderthalb Wochen waren wir hier mit Max' Eltern gewesen. An der Einbiegung zum Dorf Meliquina zwischen Villa La Angostura und San Martín de los Andes lässt uns der Busfahrer freundlicherweise aussteigen. Da stehen wir mitten im Nichts und warten, bis uns Lala, die Familienmama, abholen kommt.
Ein paar Minuten später biegt sie schon um die Kurve und wir fahren mit dem Jeep 20 Minuten eine Schotterpiste entlang, bevor das Dorf Meliquina vor unserem Auge auftaucht.

Selfie ohne Max

Unsere Gastfamilie für die nächsten zwei Wochen besteht aus Lala (39) und Miguel (40) sowie ihren drei Töchtern Allegra (7), Maitena (9) und Faustina (11) und den zwei Hunden Nutella und Maní (Erdnuss). Miguel ist Architekt und leitet ein paar Baustellen in der Umgebung. Lala ist Ärztin und arbeitet zwei Tage in der Woche in einer Praxis in der nächstgelegenen Stadt San Martín, die eine Stunde entfernt liegt.

Das Haus

Das Familienhaus haben sie hier vor 6 Jahren am äußersten Rand von Meliquina errichtet. Während der Bauphase wohnte die 5-köpfige Familie (inklusive der damals einjährigen Allegra) für ein halbes Jahr (!) in dem Wohnwagen, in dem wir uns schon zu zweit gerade so nicht auf die Füße treten. Auf dem Hof gibt es jede Menge zu tun. Lala und Miguel sind gerade dabei, Gästewohnungen für die kommende Sommersaison einzurichten. Noch sind wir aber im Frühling und der Garten möchte bestellt und hergerichtet werden.

Schulvorführung

Am dritten Tag unseres Aufenthaltes besuchen wir eine Schulaufführung von Allegra anlässlich des Tages der Tradition in der 2 Kilometer entfernten Dorfschule. Statt wie angesetzt um 11 Uhr geht es erst eine Stunde später los. Die Eltern trudeln nach und nach ein und bringen Berge an Leckereien für einen Essensbasar herbei. Mütter zupfen am Rock ihrer Töchter, manche bekommen einen Lidstrich aufgemalt.
Dann geht es los. Kinder im Vorschul- und Grundschulalter singen, tanzen traditionelle Tänze und sagen Gedichte auf. Es ist bunt und laut und wir haben richtig viel Spaß, den Kleinen zuzuschauen. Und überall präsent: Die argentinische Flagge. Stellt euch das mal mit deutschen Flaggen vor.

Streichen

Unsere Arbeitszeiten auf dem Hof wechseln von Tag zu Tag, je nachdem wie unsere Gastgeber Zeit haben. Wir streichen zum Beispiel Bretter und Möbelstücke für die neuen Gästewohnungen und sauen uns ordentlich ein. Hier hilft mir die älteste Schwester Fausti zwei Stunden lang ausdauernd beim Bretterstreichen.

Gemüse

Der gemüsige Wocheneinkauf. Was für ein gutes Gefühl habe ich nach dem Essen von Lala! Sie kocht zweimal täglich frisch mit ganz viel Gemüse. Zugegebenermaßen sind wir froh, auch ein paar Mal Nudeln in unserem Wohnwagen kochen zu können, denn eine kohlenhydratarme Ernährung sind wir nicht gewohnt. Das, was auf den Tisch kommt, schmeckt aber immer sehr lecker und ich freue mich heimlich, auch Max zu Kürbis, Aubergine oder grünem Spargel greifen zu sehen. Es geschehen noch Wunder.

Rehbein

Das hier kommt zum Glück nicht auf den Tisch! Erkennt sicher jeder, dass es sich um ein Deko-Objekt handelt. Hier ziert es den opulenten Gasherd.

Hund mit Aussicht

Meliquina ist von traumhaft schönen Bergen umgeben. Hinter mir seht ihr zum Beispiel den Felsen Muela, der wie ein Backenzahn in den Himmel ragt. Nuti begleitet uns auf Erkundungstour zum Kiosk nebenan. Sogar Max mag Nuti gern und das mag schon was heißen. Ein "höflicher" Hund, wie er sagt. (Anmerkung von Max: Ich respektiere ihn. Außer in den Situationen, wenn ein Nachbarsauto am Hof vorbeirollt und er fanatisch-wütend bellend vor das Auto rennt, immer wieder, seit Jahren, bei Autos, die er schon tausendmal gesehen hat.).

zwei Hunde, Wohnwagen

In diesem Wohnwagen schlafen wir zwei Wochen lang. Es ist ziemlich gemütlich und der Sternenhimmel nachts wunderschön. Zum Kochen und Heizen nutzen wir, wie auch das Haupthaus, Gas. Ein paar Nächte sind eiskalt, doch wir trauen uns nicht, die kleine Gasheizung anzulassen. Miguel meint, dass wir ein Fenster ein Stück weit auflassen sollen, um uns nicht der Gefahr einer Monoxidvergiftung auszusetzen. Ist uns über Nacht dennoch zu heikel.

Morgenfrost

Mindestens eine Nacht haben wir Minusgrade und erblicken am Morgen danach solche Eis-Gras-Zapfen. Da die Temperaturen in einigen Stunden auf um die 15 - 20 Grad steigen, ist die Schönheit aber vergänglich.

Toaster

Lala und Miguel frühstücken nur Mate-Tee, die Kinder in der Schule.
Wir brauchen früh was Ordentliches. Unsere Toasts zum Beispiel rösten wir in diesem Vintage-Toaster.

Arbeit Himbeerkreis

Und was machen wir hier sonst?
Wir jäten Unkraut und pflanzen an und um. Himbeersträucher zum Beispiel wachsen im Garten kreuz und quer wie Unkraut. Unsere Aufgabe ist, sie vor dem Hauszaun in einer Reihe oder auch hier im Kreis ordentlich umzupflanzen.

Arbeit Baumkreise

Außerdem bringen wir Tage damit zu, das Unkraut rings um die Obststräucher zu jäten und Steinkreise als Abgrenzung auszulegen.

Braune Hände

Leider hat uns keiner gesagt, dass die Farbe zum Regalstreichen nicht wasserlöslich ist. Wenn man versucht, sie mit Wasser abzuwaschen, wird sie nur noch mehr. Auf den Händen hilft da zum Glück Terpentin, dass Lala uns geduldig mit Baumwollebauscheln über die Haut verstreicht. Unsere Wanderhosen aber sind ihr zum Opfer gefallen - dort hilft kein Terpentin. Darüber sind wir ganz schön traurig.

Abwasch

Leichter abzuwaschen gehen die Berge von Geschirr, die sich bei uns sieben Leuten nach jeder Mahlzeit anhäufen. Man ist aber auch erstmal eine halbe Stunde beschäftigt. Max kennt ja schon von mir, dass die Küche nach dem Kochen wie ein Schlachtfeld aussieht. Das ist hier nicht anders.

Grab ausheben

Max schleppt außerdem Bretter von A nach B, zieht Nägel aus Holz und gräbt dieses Grab. "Wer wird denn hier begraben?", frage ich. "Vielleicht einer von uns oder der Hund.", meint Max mit einem Augenzwinkern. Während unserer letzten Freiwilligenarbeit haben wir ja leider schon einen Hund beerdigt.

das Grab

Zum Glück landen weder einer der Hunde noch einer von uns hier drin, sondern verbrannter Müll: Metall, Glas und Asche.

am Lago

Die Arbeit macht uns Spaß, doch mindestens genauso schön ist es, die Umgebung zu erkunden. Die Familie nimmt uns mit zum See und die Mädels tauchen alle tapfer ins eiskalte Nass. Vergesst nicht, hier ist erst Frühling, das Wasser hat sich noch nicht aufgewärmt! Max und ich machen Mimimi und gehen nur bis leicht übers Knie rein.

Häuserl bauen am Lago

Hier wird akribisch an Häuserkonstruktionen aus Stöcken gebaut. Die Stöcke werden mit Gras zusammengebunden. Vielleicht tritt ja eine der Mädels später in die Fußstapfen des Papas. Bisher wollen sie Konditorinnen werden.

das Haus von Manfred

Meliquina ist übrigens was für Naturliebhaber und Alternativdenkende. Das Dorf liegt abgelegen, es gibt keine zentrale Stromversorgung und keine asphaltierten Straßen. Hier ist Allradantrieb fast ein Muss. Wir finden die Landschaft wunderschön, könnten uns aber nicht vorstellen, hier zu leben.
Manfred schon (zweiter von links). Ihr hört schon, so richtig argentinisch klingt der Name nicht. Der gute Mann ist Österreicher, mit einer Argentinierin verheiratet und lebt seit 30 Jahren mal in Argentinien, mal in Österreich. Sein Managerposten bei einer Outdoor-Bekleidungsmarke ist nun ad acta gelegt und er baut sich in Meliquina ein Domizil zum Altwerden auf. Beziehungsweise, lässt es bauen. Von unserem Familienpapa Miguel, der mit der ausladenden Villa mit Fitnessoase, Hobbyraum, Gästeräumen und mehreren Bädern sein bisher größtes Projekt verwirklicht.

Aussicht von dort

Stolz präsentiert uns Manfred den bisherigen Baufortschritt und betont, dass sein Haus nach europäischem Standard gebaut werde. Sein Ausblick ist in der Tat ein Träumchen.
Manfred ist übrigens nicht der Einzige, mit dem wir in Meliquina Deutsch sprechen können. Wir besuchen noch Tanja und Mark, die vor zwei Jahren ausgewandert sind und eine wunderschöne Gartenanlage mit Ferienhäuschen aus dem Boden gestampft haben. Wir staunen, wie entschlossen man sein muss, um in so ein Dorf in einem fremden Land auszuwandern. Genauso sehr staunen wir über die begrenzten Sprachkenntnisse der Beiden und merken, wie wichtig für uns ist, uns im Deutschen differenziert ausdrücken zu können. Alles genauso sagen zu können, wie wir es möchten. Das können wir im Spanischen leider nicht und merken, dass uns das dauerhaft ein unterlegenes Gefühl bereitet.

Gruppenbild Parador

Einmal die Woche haben die Mädchen in San Martín Schwimmunterricht. Wir fahren bei der Gelegenheit mit, gehen einkaufen und hinterher alle gemeinsam was essen. Die Kids freuen sich über Leckereien wie Crepé, Käsesticks und Gnocchi mit Käsesoße - solche Snacks, die wohl jedes Kind glücklich machen.

Steinnichtmeerjungfrau

Hier zeigen uns Miguel und Lala den Rio Meliquina in der Nähe. Wir klettern mit den Kindern auf Felsen und bestaunen das herrlich türkisblaue Wasser. Wir waten durch einen Bach und gelangen zu einer Flusskurve, die eine herrliche Zuflucht und Badestelle bildet.

Gruppenbild Fluss

Grüße von der Reisetruppe.

Fußball Taliago

Was uns in den zwei Wochen am allermeisten Spaß macht, ist das Fußballspielen mit den Kindern. Das Gekreisch ist groß, wenn einer aus ihrem Team ein Tor macht.

Fußball Maxadona

Max spielt immer im Zweierteam. Oder auch mal alleine gegen uns vier. Das gefällt den Mädchen besonders.

Brücke über de Io O Hu Hu

Und was macht Max in Meliquina noch?
Klar doch, er joggt. Hier zum Beispiel über den Bach "Io O Hu Hu", dabei sind wir noch gar nicht in Asien.

210 Km im November

Ganze 210 Kilometer ist er im November gelaufen, auf dem Bild gerade einen Halbmarathon.
Einmal begleite ich ihn mit dem Fahrrad und bekomme unglaublich schlechte Laune über die wackelige Schotterpiste und den Anstieg auf dem Rückweg. Fahrradfahren unter ungünstigen Bedingungen ist bei mir so eine Sache...
Anmerkung von Max: Einerseits waren die Bedingungen hier katastrophal, weil es im ganzen Ort keine befestigte Straße gibt, die Offroad-Autos an einem vorbeischießen und ich wegen des Staubs danach für 200 Meter mein T-Shirt zum Atmen vors Gesicht halten muss. Andererseits finde ich hier auch sehr viel Platz, genügend Zeit und eine wahnsinnige Landschaft.

Gruppenbild Wohnzimmer

Dann ist auch schon der letzte Abend gekommen und wir haben versprochen, was typisch Deutsches zu kochen. Gar nicht so einfach für uns, da wir selbst nicht unbedingt Fans der traditionellen deutschen Küche sind. Was würdet ihr da kredenzen, wenn man euch fragen würde?
Wir entscheiden uns für Spätzle nach Felix' und Lisas Rezept sowie Curry-Sahne-Hühnchen, so ähnlich, wie es das bei Oma Gunda gibt. An selbstgemachte Klöße trauen wir uns nicht ran. Als Beilagen gibt es noch frischen Salat und panierten Blumenkohl.
Das Essen wird ein Erfolg. Alle mampfen glücklich vor sich hin. Es ist schon beachtlich, wie viele Spätzle in so einen Kindermagen passen. Wir lassen den Abend ausklingen und am nächsten Tag heißt es schon Abschied nehmen. Wir finden noch die verloren gemeinte Trinkflasche und meinen Hut und Lala nimmt uns auf dem Weg zur Arbeit nach San Martín, von wo wir die Weiterreise antreten.
Das wars. Zwei lehrreiche und aufregende Woche in Meliquina waren es. Wir haben die Mädels in unser Herz geschlossen und viel über die hiesige Kultur gelernt, leckeres Essen gespeist und unser Spanisch aufpoliert. Und dafür sind wir sehr dankbar!
In der Woche vor der Arbeit hatten wir uns zum ersten Mal ein wenig gelangweilt, da war der Job hier das perfekte Gegenmittel. Und wir haben wieder neue Sachen, über die wir nachgedacht haben und die wir für die Zukunft mitnehmen können: Soziale Gefüge, Kommunikation, Wohnbedingungen, Dankbarkeit.