Merida - Krank und Kultur
von Talja
17. April - 22. April 2022
Merida, die schillernde Hauptstadt des Bundesstaates Yucatan mit ihren knapp 900.000 Einwohnern, begrüßt uns am Abend unserer Ankunft mit einladender Geselligkeit. Wir beschließen, den guten Kilometer bis zu unserem Hostel zu laufen. Zwar gilt Merida als eine der sichersten Städte Mexikos, doch ist die Straße zu unserem Hostel, fernab des Zentrums, beinahe menschenleer. Na großartig, denke ich. Genau das ist so ein Moment, in dem man uns leichterhand in einen Hinterhof ziehen könnte und spähe ängstlich um jede Hausecke. An den nächsten Tagen, an denen wir abends ausgehen und uns an den zahlreichen kulturellen Aktivitäten erfreuen, sind die Sorgen aber schon wieder komplett vergessen.
Merida verfügt über eine reiche Kultur- und Kolonialgeschichte. Und nur hier und in Valladolid findet man die sillas confidentes, eine einander abgewandte Stuhlkonstruktion. Einer Legende nach hatte ein Vater eine Tochter, die er sehr liebte. Als ein Mann aus dem Dorf mit der Tochter anbandelte, wurde der Vater eifersüchtig und stellte als Bedingung, dass sich die Beiden nur auf einer Parkbank sehen dürften. Sie stimmten zu. Dem Vater allerdings boten gängige Bänke zu viel Raum für potenzielle Unanständigkeit. Fuchs wie er war, entwarf er diese Stühle. Man könne sich zwar nah sein und in die Augen schauen, bleibe aber auf anständiger Distanz.
An den meisten gut frequentierten Straßenkreuzungen sehen wir in allen bisher besuchten Städten nicht nur Ampeln, sondern auch Polizisten, die den ganzen Tag auf der Straße stehen und unermüdlich durch den Verkehr lotsen. Scheinbar nehmen es die Einheimischen mit der Ampel allein nicht so genau. Der Verkehr ist generell ein Thema für sich. Häufig transportiert ein Motorrad nicht nur eine oder zwei Personen, sondern die ganze Familie samt zwei kleinen Kindern und Hab und Gut, eingequetscht zwischen den Eltern.
In einem der einheimischen Märkte bin ich überwältigt, wie viele Obst- und Gemüsestände es gibt. Und alles deutlich günstiger als im Supermarkt! Ein Kilogramm Mango kostet oft zwischen 20 und 35 Pesos (ca. 1—1,50 €). Weil sie außerdem noch so gut schmeckt, steht Mango hier ganz oben auf meiner Nahrungsliste.
Wegen der kalten Klimaanlagen im Bus und im Hostel werden wir erwartungsgemäß krank und hängen einen Tag im Hostel herum. Noch halb matt gönnen wir uns am Folgetag etwas Kultur, besuchen zwei kostenfreie Galerien und den Regierungspalast.
Die Maispflanze und das daraus gewonnene Maismehl sind für die Mexikaner mindestens genauso heilig wie für die Deutschen ihr dunkles Brot. Kein Wunder, wo doch nach der Maya-Kosmologie der Mann aus Maisteig erschaffen wurde. PS: Wir mögen dunkles Brot trotzdem lieber.
Im kostenfreien Stadtzoo sehen wir viele Tiere in kleinen Käfigen. Die Vögel haben den größten. Es fällt schwer, den Anblick der zahlreichen exotischen Exemplare zu würdigen, weil es grotesk ist, dass man 6 Tiger und 3 Löwen auf eine so kleine Fläche quetschen muss. Wir genießen aber diesen seeehr langsamen Sessellift und sind froh, dass die verrosteten Halterungen nicht durchbrechen.
Wir zwei sind nur solche Freunde, weil der Kollege ganz sicher nicht zubeißen kann.
In Merida essen wir sehr leckere Panuchos - zwei frittierte Maisteigfladen, zwischen welche Bohnenpaste geschmiert wird. Hier mit Gemüse on Top. Danach ergattert Max für 80 Pesos (4 €) einen neuen freshen Haarschnitt (Max: "Ich sehe aus wie ein Verbrecher.") und einen netten Smalltalk mit der Friseurin. Sie mit Fingerzeig auf mich: "Es linda tu novia. Es toxica?" Ist auch eine spannende erste Frage, ob die Freundin toxisch ist. "Nein? Dann bist du toxisch?" Als Max verneint, meint sie, wir hätten Glück. Die Mexikaner seien in Beziehungen sehr toxisch. Wenn der Partner jemanden auf der Straße auch nur anschaut, heißt es nicht selten "Dann geh doch zu ihm, wenn du lieber mit ihm zusammensein möchtest." Etwas Stolz schwingt in ihrer Stimme mit.
Eines meiner absoluten Merida-Highlights ist dieser Tanzabend für Menschen des "dritten Alters". Jede Woche putzen sich die Einheimischen heraus und lassen ihrer Begeisterung für Mambo, Salsa, und Samba freien Lauf. Wir müssen zugeben, dass unsere langsame Discofox-Variation im Gegensatz dazu etwas mau daherkommt und beschließen, unsere verschleierten lateinamerikanischen Tanzkenntnisse in ein paar Tanzstunden aufzubessern.
Hier wird die Casa de Montejo , das Haus des Stadteroberers Francesco de Montejo, während einer Projektionsshow angestrahlt.
Unser Hostel gefällt uns besonders gut. Neben einem guten Frühstück ist dieser Pool eines der Hauptargumente. Außerdem ist da noch Stephen. Nie hätten wir gedacht, dass jemand während eines Tages so viele Zigaretten rauchen kann. Stephen kann. Und doch sitzt er meist im Garten und verbreitet mit seiner unaufgeregten Anwesenheit eine sehr gemütlich Atmosphäre.
Am Morgen des 20.04. pusten zwei der Hostelmitarbeiter und zwei Gäste fließig grüne Luftballons und große Ballonzahlen auf. "Hat heute jemand Geburtstag?" frage ich. Sie grinsen und erklären, heute sei doch der Internationale Tag des Cannabis. Man merkt, ich bin so gar nicht im Geschäft.