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Ciudad de México, Teil 2 - schlummernde Riesen

von Max

16. Mai - 21. Mai 2022

Mexiko-Stadt. Ciudad de México. CDMX. Hier gibt es mehr Museen als Papierkörbe - und dennoch hat man das Gefühl, die Stadt kann gar nicht all das erzählen, was sie in ihren 600 Jahren erlebt hat. Wie immer, wenn wir einen neuen Ort betreten, sind wir anfangs noch sehr vorsichtig, aber gewöhnen uns mit jedem Tag mehr an unsere neue Kurzheimat. Und obwohl diese Stadt hier so gigantisch ist, macht sie es einem einfach, sich zurechtzufinden. Das Metrosystem ist hervorragend (25 Cent pro Fahrt), dazu Metrobusse, die die Stadt durchschneiden. Nur zweimal werden wir in der Metro komplett zerquetscht. Wir haben in unseren 11 Tagen hier insgesamt 3 verschiedene Hostels. Zwei in der historischen Altstadt, eines im Roma-Viertel. Und Roma ist grundverschieden zur Altstadt. Hier läuft man durch friedliche Straßen, findet Restaurants mit Essen aus jedem Winkel der Erde, Bars, Parks und Hunde an der Leine. Gefällt es uns so gut, weil es so europäisch anmutet, aber gleichzeitig hier zu finden ist?
Während wir im ersten Teil viel Sport beobachtet haben, erzählt der zweite Teil davon, wie wir selbst aktiv geworden sind.

Teotihuacan Hut

Bevor wir in CDMX ankamen, war ich immer leicht verwirrt, was die archäologischen Stätten hier angeht. Okay, Tenochtitlán hat man schon mal gehört, aber was ist denn Teotihuacán? Ich hielt das bis vor kurzem für ein schlecht geschriebenes Tenochtitlán. Naja, es ist ein bisschen anders. Wer sich erinnert, Tenochtitlán existierte von 1325 bis 1521. Darüber kann die Pirámide del Sol hier nur müde lächeln. Als die Azteken ins Tal von Mexiko umzogen, fanden sie nicht weit entfernt diese Ruinen hier, die schon seit ca. 600 Jahren verlassen waren. Insgesamt beherrschte das Volk aus Teotihuacán von 200 v.Chr. bis 700 n.Chr. den gesamten mesoamerikanischen Raum, bis in die Gebiete der Maya hinein. Zur Hochzeit lebten hier 200.000 Menschen, was Teotihuacán zu einer der größten Städte der Welt machte.

Teotihuacan Modell

Was taten also die Azteken, als sie diese gigantischen Ruinen hier, 50 km von ihrer eigenen Stadt, fanden? Sie bauten sie nicht etwa auseinander, sondern pilgerten dorthin, gaben ihr den Namen "Stadt, wo man zu einem Gott wird" und verehrten diese alten Tempel, die für sie so unbegreiflich und gigantisch gewesen sein mussten. Wir europäische Touristen, die wir Fernsehtürme und Wolkenkratzer gewohnt sind, schlendern hier entlang und denken: Ja, ziemlich groß, der Steinhaufen. Aber die präkolumbianischen Völker muss der Anblick hier fast erschlagen haben.

Teotihuacan Modell und real

Das Modell der Sonnenpyramide vor der Sonnenpyramide. Im Ranking der größten Pyramiden der Welt muss die Pirámide del Sol nur Cheops und Chephren den Vortritt lassen. 63 m hoch ist die gute Pyramide, also einen Meter weniger als die Herzberger St.Marien-Kirche. Bloß ein paar mehr Steine haben sie hier verbaut.

Teotihuacan Grab

Das Volk, das Teotihuacán bewohnte, war auch nicht geizig mit ihren Grabausstattungen. Hier mal ein Ehrengrab für 9 Prominente.

Teotihuacan Schlangentempel

Wenn es eine Gemeinsamkeit zwischen Maya, Olmeken, Tolteken, Teotihuacán, Atzeken, Zapoteken und all den anderen präkolumbianischen Völkern in Mexiko gab, dann war es die Verehrung des Windgottes Quetzacóatl. Oder auch: Gefiederte Schlange. Ein Wahnsinn, wie gut die Skulpturen hier am Schlangentempel nach knapp 2000 Jahren erhalten sind. Zur Wahrheit gehört auch, dass vieles von dem Gelände jahrhundertelang von Erde und Vegetation überwuchert war und erst im letzten Jahrhundert ausgebuddelt wurde. Der Job hätte uns auch Spaß gemacht.

Teotihuacan Essen

Talja springt für mich ein: "Zu unserer Freude gibt es in Teotihuacan ein sehr nettes Restaurant mit phänomenaler Aussicht. Zu meiner noch größeren Freude esse ich hier eine der bisher leckersten Speisen in Mexiko: Eine Tortillasuppe mit Tomatencréme, Avocado, gerösteten Chili, Tortillastreifen und Chicharron (gerösteter Schweinehaut). Und auch Max' Komposition aus drei verschiedenfarbigen Tacos mundet ihm außerordentlich gut. Nomnom!"

Talja kriecht

Wir wissen nicht, ob das früher mal ein Abwasserkanal oder eine Marderfalle der Teotihuacáner war, aber es reicht grade so, um durchzukriechen.

Max Aztekenbuch

Aber Ruinen alleine erzählen noch keine Geschichten. Also manchmal denken wir uns welche aus, aber die stimmen dann nicht. Hier arbeite ich mich auf unserer Dachterrasse durch ein Buch über die Azteken, um die Ruinen zum Sprechen zu bringen. Und das circa 20 Meter vom Sockel des größten Akzteken-Tempels entfernt. Unser zweites Hostel befindet sich nämlich auf einst heiligem Grund.

Talja blaue Wand

Da ist ein Haus in Mexiko, das Haus ist ziemlich alt/
da ziehn tagtäglich tausend hin/
und Talja hier auch bald.

Aber erstmal muss sie noch eine Weile anstehen und harmoniert gut mit der Farbe des Casa Azul. Frida Kahlo bewies in der Farbgestaltung ihres Hauses schonmal Geschmack. Ich wandele durch das Viertel Coyoacán, und Talja schaut sich bei Frida und Diego um.

Kahlo Marx

Tja, was soll man hiervon halten? Meine Ferninterpretation hat etwas mit Karl Marx, Weltfrieden, Heilung und Sieg über den Kapitalismus zu tun, aber da kann sich ja jeder sein eigenes Bild malen. Frida Kahlo und Diego Rivera haben übrigens mal eine Zeit lang mit Leo Trotzky zusammengewohnt.

Brunnen Coyoten

Das Viertel hier heißt wie gesagt Coyoacán, Ort der Wölfe. Ja, Coyote war hier früher der Name für einen Wolf. Macht sich visuell in dem Brunnen auch besser als ein Koyote. Es ist ein extrem hübsches, ruhiges, charmantes Viertel. Tatsächlich merkt man Mexiko-Stadt selten so richtig seine Größe an. Es geht schon manchmal etwas drunter und drüber, aber jeder Ort für sich bewahrt sich doch seine Übersichtlichkeit inmitten der Metropole.

Metro Lacondona

Auf unserer Rückkehr aus Coyoacán stolpern wir in diese Metrostation im Stile des (Lacandona-)Urwalds. Nicht nur haben sie alles grün und mit Tierbildern ausgeschmückt, sie haben sogar eine Holzbrücke an die Wand gehangen! Außerdem gibt es am Hauptplatz, dem Zócalo, Modelle von Tenochtitlán in der Metro und an einer anderen Stelle eine Astrologie-Metrostation mit dutzenden Bildern über unser und andere Sonnensysteme!

Torre Latinoamerica

Vom Untergrund dann noch einmal ganz nach oben. Der Torre Latinoamericana war zu seiner Fertigstellung 1956 mit seinen 181 m sehr hoch für Lateinamerika, mittlerweile wurde er da mehrfach überholt, nur nicht in CDMX. Laut Wikipedia erinnert er sehr stark an das Empire State Building. Stark von ihm, dass er die beiden fatalen Erdbeben von 1957 und 1985, die sonst vieles in der Stadt in Schutt und Asche gelegt haben, locker weggesteckt hat. Die Hoffnung, von da oben einen der beiden Vulkane vor den Toren der Stadt zu sehen, erfüllt sich nicht. Vielleicht ist an dem Gerede vom Smog ja doch irgendetwas dran. Man merkt zwar nichts davon, aber man sieht eben auch nicht viel.

Stadtblick

CDMX schmeckt nach 5 (kleinen) Tacos für 50 Cent.
CDMX riecht nach Estragon und Basilikum, die verkleidete Azteken-Schamanen hier täglich bei rituellen Reinigungs-Zeremonien auf dem Zócalo verbrennen.
CDMX sieht im Kleinen aus wie eine moderen Großstadt; im Großen wie ein nicht endender Urwald aus Häusern.
CDMX hört sich an wie die sich unendlich wiederholenden, nie endenden Melodien der Leierorgel-Spieler an jedem Ort in der Altstadt. Leierorgeln aus Berlin, Schönhausener Allee.


CDMX fühlt sich an wie eine Melange aus allem Mexikanischen und dem Rest der Welt.


Max Popo schläfrig

Anstatt so eine Tour mal gemütlich um 9 Uhr zu starten, werden dann immer so Zeiten wie 6:20 Uhr festgelegt. Und zum Treffpunkt muss man natürlich auch erstmal kommen. Ein bisschen fahren und dann erhebt sich, was wir gestern vom höchsten Punkt der Stadt nicht sahen, vor uns: der Popocatépetl (5452 m), ein Kegelvulkan wie aus dem Bilderbuch. Popo raucht, aber das ist sein einziges Laster. Ernsthaft ausgebrochen ist er schon seit Jahrhunderten nicht mehr.

Wandern am Izta

Noch höflicher ist der Nachbarvulkan Iztaccíhuatl (5230 m). Der ist inaktiv, das heißt, seit mindestens 10.000 Jahren nicht mehr ausgebrochen. Passt auch zu seiner Kontur: Sieht aus wie eine schlafende Frau. Das ist auch der Vulkan, auf den wir hier drauf klettern. Damit wir die Ausblick auf den Popcatépetl haben, der macht nämlich mehr her.

Sitzen am Itza

Ich lasse meine Laufuhr mitzählen: Wir klettern bis auf 4364 m. Man muss auch dazusagen, dass unser Van 400 Höhenmeter weiter unten angehalten hat. Aber glaubt uns, über 4000 m ist alles ein bisschen anders. Der Sauerstoff in der Luft spielt etwas Verstecken mit uns. Popocatépetl schickt uns Glückwünsche per Rauchzeichen.

Max oben Itza

Und dann sind wir endlich da oben auf unserem Plateau angelangt und sehen ein paar Leute, die trotz schwerem Rucksack ein paar Sekunden Halt machen und sich dann erkundigen, wo es denn hier weiter nach oben geht. Die haben ja Nerven. Bei unserem Abstieg treffen wir den Rest ihrer Gruppe. Es stellt sich heraus, dass die Leute aus Berlin sind, genauer genommen sind es die "Midnight Runners Berlin" (eine Laufgruppe). Damit nicht genug, ich stelle fest, dass ein Mädchen aus der Gruppe zusammen mit mir im letzten Herbst beim Müggelsee-Halbmarathon gleichzeitig ins Ziel gelaufen ist. Und jetzt trifft man sich eben mitten in Mexiko auf nem Vulkan, klar.

Midnight Runners

Wie der Zufall es will, gibt es auch die "Midnight Runners México", zu deren Lauf mich die Berliner für den nächsten Tag einladen. Es ist aber keine normale Joggingrunde, sondern eine dreistündige Partyveranstaltung, bei der wir 9 Kilometer durch die Straßen Mexikos laufen, voller Musik, Verkleidungen, unterbrochen von Stopps, bei denen alle 300 Leute gemeinsam Fitnessübungen (ich hab noch in Kolumbien Muskelkater) machen.

Midnight Runners Street

Schwer, das zu beschreiben, es war ein energiegeladener Wahnsinn. Die Leute am Rand filmen und fotografieren unsere Gruppe, als seien wir eine (flotte) Freakshow. Bemerkenswerte Abwechslung, nachdem ich hier auf der Reise bisher zehnmal alleine (oder begleitet von Hunden) laufen gegangen war. Ich lerne ein paar der 20 Leute aus Berlin kennen: "Wir sehen uns nächsten Sommer in Berlin!". Wow.

Archäo

Die letzen zwei Tage in CDMX machen wir einen kleinen Urlaub-im-Urlaub. Den größten Park der Stadt, den Chapultepec haben wir uns bis ganz zum Schluss aufgehoben. Es heißt, der Chapultepec ist einer der größten urbanen Parks in Südamerika. Gut, das wird dann vom Parque Simon Bolivar in Bogotá auch behauptet werden. Vielleicht haben wir in dieser Sache auch einfach nur Glück. Am letzten Tag in Mexiko lasse ich Talja auf der Wiese entspannen und gehe in das mehrfach hochgelobte Archäologische Museum Mexikos, praktisch als Bündelung und Abschluss all unserer archäologischen Entdeckungen der letzten Wochen.

Kulturen Mexiko

Das ist vielleicht ein schönes zusammenfassendes Bild der präkolumbianischen Kulturen, Fundstücke und Tempel in Mexiko. Das Museum ist das Herzstück und die Kummulation der wissenschaftlichen Ausgrabungen und Fortschritte der letzten Jahrzehnte. Vasen über Tonkrüge über Menschenbildnisse über Grabbeilagen über Gottheitsskulpturen. Nur ist es in unserem Fall jetzt so, dass wir schon in diversen Museen und Stätten gewesen sind und anscheinend nicht allzu viel noch nicht gesehen haben. Ich genieße noch einmal das Bad in der Vergangenheit. Talja genießt ihren Entspannungstag im Park.

Tenochtitlan Archäo

Der Bericht endet, womit er angefangen hat, nämlich mit einer meiner verehrten Modelle und Karten der Stadt. Mich lässt es einfach nicht los, dass Mexiko-Stadt derart brutal über das kolossale Tenochtitlán hinweggestampft wurde. Dabei musste eine ganze Hochkultur und ein See dran glauben, aber das, was daraus entstanden ist, ist wiederum ein pulsierender Wahnsinn voller Entdeckungsmöglichkeiten.

Damit endet das Kapitel Mexiko. Wir sparen uns in dieser Nacht die Unterkunft, gehen noch einmal türkisch essen, fahren zum Flughafen und drehen Däumchen, bis wir ganz stressfrei unseren Check-In ...