Titelbild

Salkantay-Treck - Wandern ohne Ziel

von Max

20. August - 23. August 2022

Hier trennen sich unsere Wege. Talja bleibt für zwei weitere Tage in Cusco, ich muss 4:45 Uhr auf die Straße und trete nach einem Ruhetag an zum 4-tägigen Salkantay-Treck. Man kann hier auch den hochberühmten Inka-Trail bewandern, wie wir auch schon von mehreren gehört haben. Man kann es aber auch lassen - und stattdessen für den Salkantay-Treck nur ein Drittel des Preises zahlen. Warum so teuer? Beim Inka-Trail sind Pferde als Transporthilfe von der Regierung verboten. Das Gepäck schleppen dann Mitarbeiter.
Ich war bisher erst einmal für mehrere Tage wandern, und das war 2017 in den schottischen Highlands. Dann werden das hier aber die Veryhighlands. Hab Bock.

erster Blick

Wir fahren gut 5 Stunden ins Gebirge und sind hier abgeschnitten von Zivilisation (ich hatte geplant, auf der Busfahrt Werders Auswärtsspiel in Dortmund zu schauen, aber ab der 20. Minute sind wir schon im Land ohne Empfang - und bleiben es für 3 Tage). Es geht los in Soraypampa auf 3912 m und mit dem eindrucksvollen Blick auf den Humantay.

Lagune

Eine Tagestour wird hierher angeboten, 5 Stunden Bus, 2 Stunden Wanderung zur Humantay-Lagune, 2 Stunden zurück wandern, 5 Stunden zurück im Bus. Deswegen treffen wir auf der Wanderung bis hierher viele andere Touristen.

Ich bei Lagune

Die Lagune ist schon ganz nett, aber für uns keine Tagestour, sondern nur kleines Aufwärmprogramm für die nächsten Tage. Denn es geht nicht zurück zu einem Bus, sondern in unser erstes Nachtlager. Auf dem Bild zu sehen sind die Wanderstöcke, die auszuleihen ich mich nach langem Ringen entschlossen habe. Eine Entscheidung, der ich später noch die Füße küssen werde.

Blick aufs Lager

Unser erstes Lager sind diese Holzhütten auf 4000 m. Der anstrengendste Teil des Tages ist es, zum Nachmittag und Abend zweimal zu dem Essenssaal oben in der kleinen Hütte zu steigen. Im Hintergrund erhebt sich als Vorgeschmack für morgen der mächtige Gipfel des Salkantay, Namensgeber dieses netten 4-Tage-Spaziergangs.

Abendessen

Es wird Zeit, meine Gruppe vorzustellen. Links vorne haben wir zwei Freunde aus den 🇳🇱, weiter vorne und in der Mitte 5 Freunde und ein Pärchen, alle aus Barcelona, 🇪🇦 (zwei davon haben sogar wie ich an der Universidad Autónoma de Barcelona studiert). Hinten vervollständigen die Gruppe zwei Jungs und drei Mädchen aus 🇮🇱, dazwischen ich Kartoffel. Am Tischende seht ihr unseren Chefkoch für die nächsten Tage, Arm in Arm mit unserem Guide Angel. Angel ist vom ersten Moment der Tour ein Guide, Freund und Motivator, wie er nicht besser erfunden werden kann (Grüße an Chito aus Manu). Nach dem Abendbrot lässt er alle 4 Köche und 2 Pferdewirte (die unser ganzes Essen und einen Teil unserer persönlichen Sachen schleppen) vor der Tafel aufmarschieren, stellt sie uns vor und sorgt dafür, dass sie sich ihren Applaus für ihre Arbeit abholen. Angel sorgt dafür, dass wir uns auf dieser Wanderung wie ein richtiges Team fühlen, er ist höflich, aufmerksam und hält die Stimmung hoch.
In unserer Gruppe haben wir die 5 Spanier, die alle Triathleten sind, die 5 Israelis, die grade aus 2-3 Jahren Militärdienst kommen und die zwei Niederländer, die in der Ausbildung der Niederländischen Luftwaffe sind. Die sind hier also alle durchaus fit.

Hütte

Mit Daniel und Yaron teile ich mir diese spartanische Hütte in einer Nacht unterhalb des Gefrierpunkts.

Sterne

Die Sterne über den Hochanden wiegen uns in den kühlen Schlaf. Wie die Sterne funkeln auch Augen im Schein unserer Kopflampen. Die gehören Lamas, die einen Steinwurf vor den Hütten in der Dunkelheit Nachtwache halten.
Um 5 Uhr werden wir von den beiden Jungs, die ihren Vätern in der Küche helfen, mit Coca-Tee in unserer Hütte aufgeweckt.

Salkantay oben

Schon oben! Weitere 600 m Aufstieg liegen hinter uns, als wir den kargen Salkantay-Pass erreichen.

Oben Schild

Man sieht die 4 nicht so gut, aber es sind durchaus 4630 m auf dem höchstem Punkt der Wanderung. Bis auf 6271 m könnte man auf die Spitze des Berges steigen, dann hätten wir aber zusätzlich Eispickel einpacken müssen.

Oben Gruppenbild

Angel nimmt uns mit in seine Gedanken. Erzählt uns von der Bedeutung des Salkantay für die indigenen Quechua. Er sagt, dass er sich genau hier oben frei und richtig fühlt. Dann nimmt er uns mit in eine Zeremonie für die Gottheit pachamama, Mutter Erde, so wie damals bei Wilman in Alkantay. Ich denke über Angels Worte nach, schaue mir den Berg an und stimme ihm zu: "Was kann für die Einheimischen mehr Gottheit sein als dieses Massiv brachialer Natur?"
Auf dem Gruppenbild bin ich der schräge Typ mit der schiefen Sonnenbrille. Es war angesagt, dass wir blöd gucken, hat bloß sonst keiner mitgemacht.

Weiterwandern

Am Nachmittag steigen wir hinab bis auf unser heutiges Nachtlager auf kuscheligen 2900 m in Chawllay und ich bin froh um meine Wanderstöcke. Man könnte sich dort Zivilisationsgüter kaufen: eine heiße Dusche und WLAN. Ich mache erstmal ohne beides weiter. Stattdessen bringen mir die beiden Jungs aus Israel ein neues Spiel bei, das man mit einem Poker-Deck spielen kann. Eine Mischung aus "Jungle Speed" und "Mau-Mau". Warum es "Egyptian War" heißt, wissen sie auch nicht. Hat wohl weniger mit dem Spiel als mehr mit der Geschichte ihres Staates zu tun.

Angel malt

Am dritten Tag sind wir bereits so weit herabgestiegen, dass wir statt durch vegetationsloses Berghochland wieder durch Wälder und grüne Schluchten laufen. Angel nutzt Beeren, die sonst für die Färbung von Alpaca-Wolle genutzt wird und zeigt uns ein verstecktes Talent:

mit Daniel

Er kann eine gesamte Gruppe mit Farbe im Gesicht verunstalten.

Letztes Gruppenbild

Tag drei ist schon der Tag der Trennung. Die 5 Leute aus Israel wechseln zu einer anderen Gruppe und laufen noch einen weiteren Tag, wir kürzen (leider) per Bus ab nach Hidroelectrica, von wo aus wir weitere 10 km laufen, nämlich bis in ein Hostel in Augas Calientes. Ein letztes Gruppenbild, bemalt bis unter die Stirn.

Jetzt hier...

Und dann bin ich an Tag 4 hier, wo ich eigentlich nie hinwollte. Aber Machu Picchu war nunmal Teil der Wanderung, Teil des Deals. Vor unserer Reise haben wir uns ein bisschen belesen, was wir hier in Südamerika eigentlich anschauen können. Bildbände, Reiseführer, etc. ... Eines war immer auf Seite 1: Nämlich das hier. Wir waren in Peru unterwegs und jeder so: "Und was habt ihr dann gemacht?" - "Wir waren bei Machu Picchu." - "Ah cool, wir auch.". Dazu die Berichte vom Übertourismus, des Kraftaktes des UNESCO, die Weltkultur- und Weltnatur-Stätte gegen die Heerscharen von Touristen (5000 täglich) zu erhalten. Es wäre wohl auch toll gewesen, in Peru ohne Machu Picchu gewesen zu sein. Ich hatte also keine gute Meinung, aber am Ende ist es so gekommen, dass ich hier mein eigenes Bild machen kann. Ich oder ...

Beide MP

...WIR! Wen habe ich den hier aufgesammelt? Das hatte ich bisher verschwiegen, aber Talja ist gestern vor dem
10-Kilometer-Marsch zu meiner Gruppe aus Triathleten und Soldaten gestoßen. Die gestern übrigens besonders motiviert waren und die Kilometer in 9 Minuten/km weggewandert sind. Das frühe Vergnügen hatten wir am Ende der heutigen Nacht dann gemeinsam: Am Tag 4 wandern wir 4:45 Uhr die 400 m zur Stadt der Inka nach oben, um pünktlich um 6 Uhr zu unserer Führung anzutreten. Und wir sehen eine Stadt in wahrhaft eindrucksvoller Kulisse. Der ikonische Gipfel des Huayna Picchu (junger Berg) thront über den Ruinen der Inka-Stadt, die sich um diese Uhrzeit tatsächlich noch ruhig und friedlich an die Berge schmiegt.

Talja und Bergspitze

Mitarbeiter der UNESCO bewachen die Ruinen und diskutieren mit den Touristenführern, wenn jene eine Gruppe mit mehr als 10 Leuten leiten. Es gibt hier strikte Regeln, 4 Rundkurse, von denen man genau nur einen buchen konnte (wir den kürzeren, unteren) und den Einbahnverkehr zwischen den Häusern und Mauern der anscheinend ehemaligen Inka-Ausbildungsstätte. Ich bin jedenfalls auf der Seite der UNESCO.
Oh, was ist denn das für ein ewig weit entfernter Gipfel über Taljas Kopf? Es handelt sich um den namensgebenden Berg Machu Picchu (alter Berg), 600 m über der Ruinenstadt.

Talja Aussicht

Und ohne das vorher so genau gewusst zu haben, haben wir den Aufstieg zum Berg mit in unserem Ticket. Talja mit diesem hübschen Bild von oben.

Max Aussicht

Und ich mit diesem Bild von ganz oben. Eigentlich müssen wir später noch unseren Bus schaffen und das alles ist zeitlich zu eng, um auch die 3-Stunden-Wanderung bis auf den Berg Machu Picchu und den Rückweg zum Bus zu bewältigen, sagen sie uns.

Schild Berg

Ich nehm das als nette Herausforderung. Klar schaffen wir das. Neunzig Minuten für die 1600 Stufen und wieder runter. Hab mich lange nicht so lebendig gefühlt.

Panorama

Die Ruinenstätte da unten ist wirklich sehr hübsch, aber was mich wirklich aus den Wanderschuhen schlägt, ist der Blick von hier oben, die Haarspitzen knapp unter den Wolken. Schaut euch diese unberührten Berge an, aufragend wie Urgewalten, in die Natur gefräst durch den Fluss Urubamba. Ich erbete mir auf dem Gipfel 20 Minuten Geduld, um diesen Ausblick von hier oben aufzusaugen, den ich vielleicht nie wieder haben werde.

classical view

Dann bin ich wieder 600 m tiefer, heruntergehüpft, fast fallend wieder zurück zu den Ruinen. Ich mache noch einen Abstecher zum "Klassischen Aussichtspunkt", "Postkartenmotivausblick", "Typischen Fotopunkt", einfach um zu sehen, was dort so von den Leuten her los ist. Hatte an dem Tag blöderweise keine Zeit, mich auch auf den schwarzen Gummimatten zu räkeln. Das Bild ohne Menschen ist das Titelbild. Da hier alles Einbahnstraßenverkehr ist, gerate ich unglücklicherweise in den oberen Rundgang durch Machu Picchu hinein, den wir gar nicht gebucht hatten. Ich versuche so auszusehen, als ob ich einer Tour angehöre und mich gleichzeitig an den Leuten vorbeizuquetschen, um Talja einzuholen, die mittlerweile einen großen Vorsprung auf dem Rückweg hat.

10km zurück

Nochmal 400 m herunter zum Fluss (ich werde auf den Treppenstufen von 100 Italienern aufgehalten), dann müssen wir noch die zehn Kilometer entlang der Zugschienen zurück nach Hidroelectrica. Es ist nämlich so, dass wir nicht genug Geld haben, als dass es uns jenes wert wäre, für den Zug aus Aguas Calientes, den alle anderen aus der Gruppe nehmen, 70 € pro Person zu zahlen. Einen Tag später streiken die Züge sogar, und die Leute, die einen Tag länger wandern, sitzen hier noch nen zusätzlichen Tag länger fest. Gut, der Bus hat auch seine Nachteile. Zwei Tage vor uns ist ein Bus von der schmalen Bergstraße abgekommen, 100 m in die Tiefe gefallen. Der Unfall hat 4 Leben gekostet.

Strava Höhenprofil

Bei der Wanderung habe ich meine Laufuhr mitlaufen lassen. An den 23 Kilometern des letzten Tages ist dann mit dem Aufstieg zu den Ruinen von Machu Picchu und dem Berg dieses Höhenprofil herausgekommen (mit zwei Anomalitäten bei Kilometer 1 und 3). Mit insgesamt 70 Kilometern (25 Kilometer für Talja) in den Beinen schwelge ich in Zufriedenheit über diese Wanderung, die so anders war als viele andere Touren. Manchmal muss man den Tag im Bus verbringen und wird bei den Sehenswürdigkeiten herausgeschmissen. Wir merken, dass uns das Busfahren bei solchen Touren mitunter so träge macht, dass wir gar nicht die Motivation verspüren, auszusteigen und Dinge anzuschauen. Das war hier anders. Eine Wanderung, bei der man den Großteil des Weges unter seine eigenen Fußsohlen bringt, sorgt für ein Gefühl der Freiheit, Energie und ja - Stolz.

Pullover

Mein Pullover im Zusammenspiel mit meinem Rucksack hatte am Ende der ganzen Sache einen ganz bemerkenswerten Abdruck. Eine Sache zum Abschied: Eigentlich war ich während des ganzen Abenteuers krank (mein Magen und ich haben uns auf einem ganz anderen Level kennengelernt). Talja ging es ähnlich, bloß hatte sie sich nach den zwei Tagen Ruhe in Cusco wieder erholt. Schade um das Essen, das die Köche auf dem Treck bereitet hatten. Es war das beste Tourenessen, das ich je gesehen habe. Bloß, dass ich es nicht geschmeckt habe. Den Tag vor der Tour und die ersten beiden Tage der Wanderung habe ich mich hauptsächlich an meinen Fettreserven bedient. Zum Glück sind das die Sachen, die einem in der Erinnerung als letztes einfallen. Eine Schande, wenn wir das hier ausfallen gelassen hätten.