San Cristóbal des las Casas - Genussmekka der Berge
von Max
25. April - 28. April 2022
Uns stand nach den Wasserfällen von Palenque noch ein langer Weg nach San Cristóbal bevor. Die Straße zwischen Palenque und San Cristóbal ist die berüchtigte 199. Es ist so, dass die großen Reisebusse diese Straße vermeiden und einen 5 (!) Stunden langen Umweg fahren. Warum?
Weil hier gerne mal bewaffnete Überfälle stattfinden. Vor allem nachts. Und wir in unserem Van, die wir in den Sonnenuntergang hineinfahren? Wir kriegen eine Polizeieskorte. Um es kurz zu machen: Wir werden nicht überfallen, aber immer wenn wir stehen bleiben, werden wir leicht nervös. Was am Ende viel schlimmer ist: Wir schrauben uns in unserem Büsslein auf 2000 Höhenmeter nach oben und fahren eine kurvige Hangstraße nach der nächsten. Als wäre das nicht schon nervtötend genug, gibt es auf dieser Straße Bodenwellen zur Geschwindigkeitsreduktion. Nicht eine im Ortseingang, sondern ungelogen hunderte, gerne auch 5 direkt hintereinander. Ich kann es nicht fassen. Es ist komplett sinnlos. Der Bus fährt, der Bus bremst ab. Schleicht über den Huckel. Beschleunigt mit Vollgas von Null. Fährt 50 Meter, bremst ab, beschleunigt... Ich fand die Dinger in den Niederlanden immer echt stark, aber hier bringen sie mich zur Rage.
Okay, egal. irgendwann und deutlich zu spät kommen wir an. Überraschung: Es ist kalt.
Hier schaut sich Max die Kirche an und ist ein bisschen traurig. Es ist hier nämlich ziemlich kalt. Früh 18°C, tagsüber kaum mehr als 25°C. Max sieht hier auch nirgendwo Leguane. Ein gutes Zeichen ist das nicht. Leguane sind Indikatoren für gutes Klima.
San Cristóbal ist bei Reisenden extrem beliebt. Es liegt in einem Tal, gleichzeitig schon auch inmitten von Bergen. Die typische Straße hier sieht so aus: Pizzarestaurant, Tourenanbieter, großer Innenhof mit Galerie, Café, Tourenanbieter, Kunsthandwerksgeschäft im Innenhof. Es ist alles viel mehr hip als in den Städten davor. Auf den Straßen sieht man Menschen, die aussehen, als wäre das hier genau die Stadt, die sie in langen Jahren des Reisens gesucht haben. Und dann jetzt hierbleiben. Und gleichzeitig sind wir noch im Staat Chiapas, dem vielleicht ärmsten und ursprünglichsten Staat Mexikos (amtlich übrigens Vereinigte Staaten Mexikos). Abends gibt es einen riesigen Kunsthandwerksmarkt lokaler Kleidung, Schmuck etc. Kinder verkaufen oder betteln auf der Straße. Auch sehr, sehr kleine Kinder.
Es ist gang und gäbe, dass wir in unseren Unterkünften auf einen oder mehrere Hostelhunde treffen. Hier Hund #1 grade beim Sonnengruß. An jeder
Tür in San Cristóbal hängt ein Zettel, der für Yoga wirbt. Oder für Ayurveda-Kuren, Meditationen, Astralleib-Begegnungen, Hypnosen...
Richtig hammer war allerdings das Frühstück, dass wir im Hostel bekommen haben. Es war nicht der Hund. Neben Pancakes mit Obst sowie Joghurt mit
Granola gab es auch Chachukka, ne Suppe mit Gemüse und Ei. Talja fand das ganz toll.
Zeit, jetzt hier mal ein ganz großes Fass aufzumachen. Auf dieses Plakat habe ich lange gewartet: "Der Konsum zuckerhaltiger Getränke führt zum Tod von jährlich 40.000 Mexikanern.", "Coca Cola ist Farbe mit Zucker", "Trinke kein Gift!". Das ganze bereitet uns viel Kopfzerbrechen. Coca-Cola überall. Cola sponsort Stühle, Tische, Zelte. Das Wasser, was wir kaufen, ist von der Coca-Cola-Company. Cola im Rinnstein, Cola als Standardgetränk. Cola kostet so viel wie Wasser. Reisende erzählen uns, dass Cola hier anders oder besser schmeckt als in Deutschland. Ich denke: Bullshit.
Oh, was, unser Bus zum großen Sumidero-Canyon ist schon da? Dann komm ich mal wieder runtergerannt. Es war eine kurze Nacht. Dazu eine
kleine Anekdote:
Es ist mitten in der Nacht. Ich wache auf und hab ein merkwürdiges, metallenes Gefühl. Ganz übel. Als hätte mir jemand einen Schraubenzieher in den
Kopf gerammt. Warum bin ich überhaupt aufgewacht? Wir sind in einem 7er-Schlafraum. Gegenüber schnarcht jemand vor sich hin. Nicht so schlimm, damit
muss man leben, wenn man in ein Hostel geht. Warum bin ich nochmal wach? Die Frau im Bett neben mir lässt von sich hören:
"Shut up!"
Ja komm, was soll das denn bringen, der Typ schnarcht halt.
Insbesondere schläft er und kann das nicht hören. Ich leg mich wieder aufs Ohr. Zwei Minuten später neben mir:
"FUCK OFF, man! Jesus Christ!"
Ah, alles klar, da regt sich jemand immer noch auf. Hilft nicht so viel. Und ich
denke bei mir: Das Aufregen hält mich und die anderen 5 Leute hier viel mehr vom Schlafen ab als das bisschen Schnarchen. Ich döse wieder ein, denke an
die Nacht im Hostel vor einem Halbmarathon in Berlin letzen Herbst, die auch viel Schnarchen enthielt, laufe in Gedanken nochmal den Halbmarathon,
bin grade bei Kilometer 6 -
*DER TON EINER GRELLEN PFEIFE ZERREIßT DIE LUFT*
Ich: "Was zum Teufel?". Setze mich in meinem Bett auf und bin hellwach. Moderne Backpacks haben eine extrem laute Rettungspfeife am Brustgurt.
Das hat sie jetzt nicht wirklich gemacht!? Hat sie.
Jetzt weiß ich auch, wovon ich vorhin das erste Mal brutal aufgeweckt wurde.
Und das wars dann mit dem Schlaf meinerseits. Versucht mal einzuschlafen, wenn jemand neben euch jederzeit wieder eine 130dB-Pfeife zum Singen
bringen könnte. Nur die Dunkelheit sieht mein ewiges Kopfschütteln. Das ist Platz eins in den Rücksichtslosigkeitscharts. Und jetzt das Beste an der
Geschichte: Talja hat am nächsten Morgen nichts davon mitbekommen. Vielleicht war alles nur ein Traum. Dann aber ein schlechter.
Wir aber haben heute unsere Tour ins Wasser gebucht. Man fährt zum Sumidero-Canyon wieder ins Tal und uns wird dabei ein bisserl übel im Bus, aber kein Problem, wir sind wieder im Warmen und sind auf nem Boot und gleich in nem Canyon!
Eine Bootstour, die ist lustig/
eine Bootstour, die ist schön/
und das Boot das fährt ganz schnelle/
weil dann kann man noch mehr seh'n.
Und was man alles sehen kann. Eine Schlucht, so hoch der Nacken reicht, alles Grün an den Seiten, Vögel
schwebend oder auf Fischfang neben uns.
Gerne wird bei so einer Tour angekündigt, dass man Wale, Schildkröten, Smaug oder das letzte Einhorn sieht. Hier wurde nichts angekündigt - und wir sehen hier Spinnenaffen, die sich vor unserm Boot und vor unseren Augen enspannt von den Ästen hängen lassen. 2 Minuten später sehen wir gar Krokodile träge im Kies am Ufer des Canyonflusses dösen! Endlich mal Krokodile in freier Wildbahn! Das Foto dazu war aber nicht gut genug.
Wir mussten ganz nach vorne im 20-Mann-Boot klettern, aber haben uns dann schließlich doch für dieses Bild dafür entschieden.
Der Canyon hier ist an seiner höchsten Stelle geschätzte 12.500 Döner (1000 m) hoch. Das ist schon ne Menge. Das sind nochmal 300 m mehr als die Gorges du Verdun (@Tom, @Till, @Jonathan).
Wir haben hier einen Freund gefunden, der uns spontan auch auf die Tour begleitet. Wir haben jetzt Hitoshi nicht nach seiner Erlaubnis gefragt, aber hoffen trotzdem, dass er nichts dagegen hat, hier zu erscheinen. Wir sind ja unter uns. Hitoshi ließ uns eine Weile im Glauben, er käme aus Thailand. Er kam auch aus Thailand, aber nur, weil er dort vor einem Jahr in eine Seniorenresidenz gezogen ist. Eigentlich ist er Japaner. Hitoshi teilt seinen Mezcal mit uns - es ist unser erster Mezcal. Hitoshi fragt uns auch auf eine unverschämt höfliche Art und Weise, ob 8-9 Monate in Südamerika nicht langweilig werden. Wir denken, eher nicht. Aber falls doch, hat er gute Werbung für Thailand gemacht.
Erinnert auch irgendwie an den Elbbogen bei Rathen (in der Sächsischen Schweiz). Dort sind es übrigens bis zu 450 Meter Höhenunterschied. Aber da gibt es keine Adler, die über die Hänge schweben.
Dieses Foto wurde mit harter Währung bezahlt. Man sieht: San Cristóbal mitsamt seiner Vororte von einer begrünten Anhöhe. Diese Anhöhe hatte
ich mir vorher sorgfältig auf der Karte herausgesucht, um dort laufen zu gehen. In der Stadt ist Laufen schwachsinnig. Durch die Straßen in
Schachbrettmuster müsste man alle 100 Meter anhalten und außerdem ständig zwischen Straße und Fußweg pendeln.
Ich also raus, wo es grün wird.
Ich merke schon, hier kommen selten Touristenfüße auf. Laut der Karte muss ich von der Straße ab, eine steile Streppe hoch und bin dann hinter
den Grundstücken auf einem schmalen Pfad angelangt.
Vor mir liegen zwei Hunde, kein Mensch in Sicht, ich werde skeptisch. Umdrehen? Ah, hinter mir ist jetzt auch ein Hund, alles klar. Okay, von vorne kommt
jemand gelaufen, ich laufe also auch ganz langsam vorbei. Cool bleiben, alles locker. Dann etwas weiter wieder joggen. Schlechte Entscheidung.
Vor mir kläffen mich zwei halbgroße Hunde über eine kleine Mauer hinweg an. Ich bleib stehen, Hände hoch. Aaalles klar, ich mach jetzt wirklich kehrt.
Reicht ihnen nicht. Aus den zwei Hunden werden vier und die Mauer war für sie nur Deko. Vier Hunde springen über die Mauer und mich an.
Ich leg den Rückwärtsgang ein und laufe die nächste Treppe herunter, zurück zur Straße. Zwei der Hunde ist das noch nicht genug.
So genau weiß ich nicht wie viele mich verfolgen, ich bin im Fluchtmodus. Hinter mir bellt es hochempört, drum herum bellen alle Hunde
des Viertels mit. Die zwei hellen Kläffer (es sind irgendwie immer die hellen, die hier Probleme machen)
schüchtern mich noch bis zur Hälfte der Treppe ein, schwirren in Kniehöhe um mich herum. Wie durch ein Wunder entschließen sie sich kein Stück
aus meiner Wade zu beißen.
Unten an der Treppe ist ein Tor, zum Glück offen. Ich reiße es auf, schmeiß es zu und das Laufen in Mexiko hat seine Unschuld verloren.
Ich lauf dann auf nem Highway zurück, weil Hunde die Straße wenigstens nicht als ihr zu verteidigendes Territorium sehen. Als doch wieder einer vor mir
auf der Straße lauert, tarne ich mich, indem ich direkt neben eine langsamen Straßenwalze langlaufe, die grade des Weges kommt.
Das Thema Hunde macht mindestens so nachdenklich wie Coca-Cola.
Wir wollen uns an das Positive erinnern: Nirgendswo gab es so schöne Innenhöfe wie hier. Es gab Bäckereien, die richtiges (italienisches, französisches, deutsches) Brot backen. Ohne Zucker! Die Stadt fühlte sich so sicher an, wie es nur geht. Und es gibt unbeschreiblich gute israelische Falafel. An dieser Station entscheiden wir uns auch gegen die Pläne, nach Guatemala abzubiegen, um dort auf den Vulkan Acatenango zu steigen. Vor allem wollten wir nicht dutzende Stunden mehr Bus fahren (und nicht weiter frieren). Ganz ins Blaue planen wir um. Wir steigen in einen Nachtbus und der bringt uns in einen Ort, der das genaue Kontrastprogramm zu San Cristóbal ist...
PS von Talja: Ich fand San Cristóbal super. So 18-25° und ein bisschen Regen als Abwechslung zur sonstigen Hitze können seeehr erfrischend sein. Bei Max war es spätestens nach der Hundegeschichte verständlicherweise vorbei. Und auch sonst hat er 30° zu seiner Wohlfühltemperatur auserkoren.