San Martín de los Andes - Rind und Kegel
von Max
31. Oktober - 3. November 2022
Die Gipfel um uns ziehen uns an. Erst die einstmalige Trennung unseres Heimatlandes und später dann andersnamige Urlaubsziele haben dafür gesorgt, dass meine Eltern hier die Anden vor den Alpen sehen. Talja und mir wäre es fast genauso gegangen, erst Anfang 2022 haben wir es mal ins europäische Spitzengeschoss geschafft. Das wäre hier also die günstige Gelegenheit, auf neuen Höhen unterwegs zu sein. Das ist der Plan, als wir heute losfahren.
Es gestaltet sich etwas schwieriger und wir stellen fest, dass man hier doch nicht einfach auf 1600 m mit dem Auto hochfahren kann, schon gar nicht mit unserer flachen Toyota-Limousine. Nach ein paar Irrwegen finden wir einen kurzen Wanderweg zu diesem versteckten Wasserfall.
Ein paar Minuten später ist das hier der höchste Ort, den wir mit dem Auto erreichen. Eine Skipiste. Jetzt könnte man mit einem klapprigen Sessellift tatsächlich noch auf die 1600 m hinauffahren, aber das für einen unverschämten Preis. Lassen wir's.
Lieber fahren wir zu einem anderen Wanderweg, den wir rausgesucht hatten. Die Sonne strahlt, die Vegetation ist gelockert, die Schneegipfel dominieren den Hintergrund und Papa hat sich einen Vorsprung herausgearbeitet.
Dann ist es zum zweiten Mal auf unserer Reise soweit, dass wir nicht an unser Ziel kommen können, ohne bis über die Knie durchs Wasser waten zu müssen. Aber in Kolumbien war das Wasser wenigstens warm! Hier erreicht man das andere Ufer kurz vorm Absterben der Füße.
Natürlich macht es riesigen Spaß und hält frisch.
Der Weg schlängelt sich am seichten Fluss entlang ...
.. und mündet im spritzfidelen Ñivinco-Wasserfall.
Das alles lag auf dem Weg zu unserer nächsten Unterkunft - Holzhaus. Man könnte sagen, wir haben uns von Unterkunft zu Unterkunft stets verbessert: In Buenos Aires ein kleines Stadtapartment mit Klappcouch, in Bariloche eine Wohnung mit zwei Schlafzimmern, in Villa La Angostura eine halbe Hütte mit Maisonette, jetzt hier ein zweigeschossiges Häuschen. Leider geht die Heizung nicht. Und überhaupt zum Haus herauf zu fahren, ist ein wilder Ritt, bei dem wir vorsorglich alle aussteigen und dann Papa die enge steile Betonauffahrt hochmanövrieren lassen (mit Schwung).
San Martín selbst schmiegt sich an den siebten See der Sieben-Seen-Route, die wir nebenbei in den letzten Tagen abgefahren sind. Die Stadt tut sich vor allem dadurch hervor, dass bei unserem Besuch am Nachmittag alles wegen der siesta geschlossen hat. Mit Müh und Not ergattern wir 12 Empanadas. Im April steigt hier eines der weltweit größten Trailrun-Veranstaltungen (behaupte ich einfach mal, dass das Weltspitze ist). Für ein laaaanges Wochenende kann man in verschiedenen Distanzen die Berge im Umland beackern. Es gibt einen Halbmarathon und einen Marathon. Dafür kommen hier aber wohl die wenigsten hin. Spannend wirds beim Lauf über 70 und 110 Kilometer. Für Leute mit besonders sonnigem Gemüt wird auch ein gemütlicher Lauf über 100 Meilen (160 km) und 8800 Höhenmeter angeboten.
Da wir etwas außerhalb wohnen, müssen wir zwar jedesmal unser Auto die halsbrecherische Auffahrt herunternavigieren, aber es lohnt sich. Talja sucht ein argentinisches Restaurant aus und wir frönen zum zweiten Mal der Lust auf Qualitätsfleisch.
Dieses Mal werden wir derart mit leckeren Getränken, Dips und Beilagen verwöhnt, dass ich mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern kann, ob das Rind diesmal oder in Buenos Aires die Argentinische Nationalspeise überzeugender repräsentiert hat.
Wir kommen nach Hause, es ist immer noch äußerst kalt. Morgen wird der sehr energische und überaus freundliche Besitzer mit einer riesigen Pumpe anrücken, 2 Stunden im Heizungsraum rumschrauben und das Ganze wieder repariert haben. Bis dahin sitzen wir in Winterjacken da, erzählen und rätseln zusammen an einem Geografie-Quiz.
Ich schreibe den Artikel hier geschlagene 23 Tage später und sehe gerade durch die Busfensterscheibe den Ort, zu dem wir unsere letzte Tagestour unternehmen. Schon scheint er durch die Bäume, schon ahnt man ihn, den Vulkan Lanín. Nicht etwa der japanische Fuji, aber die Berge könnten Brüder sein. Wir lesen aufmerksam die Verhaltensregeln bei einer Begegnung mit einem Puma durch, dann wagen wir uns höher.
Ganz nach oben wären es 21 Kilometer Wegstrecke, um bis auf die Spitze auf 3776 Metern zu klettern. Das ist uns heute zu weit. Wir gehen also lediglich ...
... bis zum ersten Schnee auf 1360 Metern!
Wir kehren dem Berg den Rücken zu und schlagen einen anderen Weg ein. Durch flache Graswiesen wandelnd, erscheint das die perfekte Umgebung, um ihn dann doch noch in freier Wildbahn zu sehen:
Den Lago Tromen!
Nicht lang schnacken, Badzeug packen! Es ist - kalt genug - für gerade drei Fotos.
Wie alle Seen hier in Nordpatagonien ist auch der Lago Tromen ein Gletschersee. Das Wasser, was jetzt im Frühling hier reinfließt, war vor 5 Minuten noch Eis. Man sieht's im Hintergrund. Jetzt aber lassen wir uns von der warmen Sonne die Kälte wegstrahlen.
Die Landschaft gleich, die Belegschaft wechselt. Von dem Bild gab es eine erste Version, aber dort hatte Papa noch nicht seinen Körper derart vorbildlich unter Kontrolle wie hier.
Eine Teilgeschichte hatte ich bisher unterschlagen. Auf diesem doch recht länglichen Tagesausflug, bei dem wir am Ende 16 Kilometer gelaufen sein werden, haben wir unglücklicherweise kaum was zu essen dabei. In Peru gab es noch Snacks auf knapp 4000 Metern, aber an diesem Tourenziel ist weit und breit nichts Essbares aufzutreiben. Es schlägt mittlerweile 5 Uhr, wir haben schon seit mindestens 4 Stunden Hunger. Da ist das kalte Wasser, das Talja aus dem Bach schöpft, nur ein schwacher Trost.
Es schlägt 6 Uhr, wir sind auf dem Rückweg und schießen noch ein Trophäenfoto. Die Hand ist fast zu schwach, um den Auslöser zu drücken.
Es ist dreiviertel 7. Wir rollen in die nächste Stadt. Drei von uns räumen 5 Minuten vor Ladenschluss die Regale eines Supermarktes leer. Dann ist die Erlösung gekommen, kurz bevor der vierfache Schwächetod eintritt. Wir zergehen in Brot, Schinken, Käse, Joghurt, Limo, Chips, Keksen und Muffins. Und Würstchen.
Dann sind wir frei. Frei, einen letzten Abend mit Bratkartoffeln und meinen Eltern zu verbringen. Frei, am nächsten Morgen die schwungvollen Weiten der Übergangszone zwischen den Anden und der Pampa bis zum Flughafen nach Bariloche zu fahren.
Just am letzten Tag sehen wir an diesem Ausblick noch riesige Kondore in der Mittagswärme am Himmel gleiten.
Und wir begegnen wilden Guanakos, die uns den Weg freimachen.
Wir geben meine Eltern am Flughafen ab, die sich ab jetzt bis nach Herzberg auch ohne uns super zurecht finden. Und wir? Erleichtern uns von dem Mietwagen und sitzen mal wieder am Busbahnhof, rätselnd, wohin es uns als Nächstes verschlägt. Nur eines ist klar: Es liegt noch ein langer Weg vor uns.