Sierra Nevada - Werbung für die Wildnis
von Max
4. Juni - 7. Juni 2022
Wenn dieser Tayrona-Nationalpark nicht ausgerechnet diese Woche geschlossen hätte, wären wir jetzt dort. Aber gut. Was nun? Hat Talja nicht bei Hostelworld so ein Hostel gesehen, dass mit 10/10 Punkten bewertet wurde? Gebucht. Die Sierra Nevada (verschneites Gebirge) ist als nördlicher Ausläufer der Anden das höchste Küstengebirge der Welt. Es gibt auch eine Sierra Nevada in Spanien, diese ist jedoch längst nicht so hoch wie die kolumbianische Schwester. Der Pico Cristóbal Colón (Gipfel Christoph Kolumbus) und der Pico Símon Bólivar teilen sich mit genau 5775 m den Titel als höchster Gipfel ganz Kolumbiens. Dabei sind sie nur 45 km von der Karibikküste entfernt. Nach Schartenhöhe sind die beiden Gipfel sogar die fünfthöchsten Berge der Welt. Was eine Schartenhöhe ist, habe ich auch erst kürzlich gelernt; der interessierte Leser folge gern dem Link. Es ist nicht ganz so, wie ich mir es vorgestellt hatte: Sich aus dem Meer ins Himmelreich erhebende Hänge. Aber so eine Erhebung macht schon etwas mit der Landschaft, wie ihr gleich sehen werdet:
Nicht oft lesen wir uns die Beschreibungen zur Anfahrt eines Hostels durch. Hätten wir es hier nicht gemacht, wären wir immer noch auf der Suche. Von Santa Marta fahren wir die Straße zwischen den Nationalparks Tayrona und Sierra Nevada entlang und steigen nach zwei Stunden an einem kleinen Nest aus. Dann wird's spannend: Zwei Mototaxista kommen direkt auf uns zu und da wir an dem Punkt hier gar keine andere Wahl haben: Rucksäcke jeweils auf einen Gepäckträger gebunden und dann für 40 Minuten durch das Naturparadies. Bis zu diesem Fluss hier.
Talja ist grenzenlos begeistert von der Fahrt. Sie hat sich bei ihrem Mototaxi-Fahrer festgehalten, mir war das etwas zu blöd und ich habe mich über ne halbe Stunde in freihändiger Balance geübt. Oder manchmal am Rucksack festgekrallt. War nämlich nicht grade eine sanfte Tour. Es ging muntere 10 km über Hügel, Kuppen, Hänge hinweg und durch Dschungelpfade hindurch, auf erodierten Sandwegen. Gar nicht vorzustellen, wie dieser Trip mit Regen hätte funktionieren sollen. Jedenfalls hatten wir beide noch genug Ressourcen, die endlose grüne Weite um uns herum aufzusaugen. Und dann immer tiefer hinein, bis wir also an diesem Fluss hier Halt machen.
Und so stand es in der Beschreibung: "Am Ende müsst ihr zwei Flüsse überqueren. Je nach Saison können die knöchel- bis hüfttief sein. Kommt am besten vor 15 Uhr an, da der Fluss nachmittags oft anschwillt." Es ist 13:45 Uhr und in der Tat hüfttief. Wie auf den Bildern zuvor zu sehen, gehe ich beide Flüsse zwecks Untergrundspionage und Tiefentest ab, dann balancieren wir unsere Rucksäcke hinüber. Ein Ausrutscher hier und wir hätten mehrere Probleme gehabt. Aber. Wir haben's es (ab der Hüfte aufwärts) trocken hinüber geschafft. Natürlich barfuß. Wenn man seine Wanderschuhe einmal von innen bewässert, kriegt man sie bei dem Klima hier in den nächsten drei Erdzeitaltern nicht mehr trocken.
Sind die Sachen erstmal in Sicherheit gebracht, kann man auch gleich ins Wasser springen.
Das Hostel hier heißt "Ponderosa Reserve". Kurzgefasst haben sich drei Leute aus England mit ihrem Londoner Kapital hier ein Grundstück fernab von allem gekauft und seitdem mit Anleitungen von YouTube ein paar stabile Hütten aus dem Boden gestampft. Angebaut werden Kakao und Avocado; nebenan haben grade zwei Freunde ihre eigenen Holzhäuser fertiggestellt. Das Wasser kommt direkt aus den Bergquellen. Müll gibt es keinen, jeder Gast muss den seinen wieder mitnehmen. Das ganze ist wirklich geschmackvoll eingerichtet. Außerdem haben die anderen Gäste nicht zu viel versprochen. Talja kommt bei dem Essen hier gar nicht aus dem Schwärmen heraus. Die Chefköchin, die erfolgreich in den Dschungel gelockt wurde, zaubert täglich vegetarische Gerichte wie "Jungle Kebap", "Springonionpancakes & Asia Salad" oder "Sri Lankean Feast" auf den Tisch.
Aus Robinson-Crusoe-Sicht ist das Ganze sehr toll und bemerkenswert. Wenn das Ganze so bleibt, wie es ist, auch. Wenn aber in 20 Jahren aus den 4 Hütten eine Kleinstadt im Urwald entstanden ist und eine Anfahrtsschneise in den Dschungel geschlagen sein sollte, müssen wir nochmal sprechen. Wir hoffen das Beste, dass es so bleibt, wie es ist.
So wie es ist, ist es nämlich wahrlich ein paradiesisches Refugium, direkt an einer Flussbiegung gelegen. Der Fluss lagert an der Kurveninnenseite einen natürlichen Sandstrand ab - unsere Badestelle. Hier ich mit unserer Decke und daneben mein anti-hundistischer Schutzwall. Neben 3 Besitzern, 2 Siedlern, 6 Freiwilligen, einigen Angestellten und circa 8 Gästen arbeiten hier auch 6 Hunde. Der Schutzwall verhindert, dass sie bei ihren Spielereien aus Versehen unsere Gesichter eintreten. Am Ende haben wir für jeden der Hunde einen Spitznamen, das ist uns bisher noch nie passiert.
Wie überall und immer in Kolumbien wird es hier kurz nach 18 Uhr schon dunkel. Viel Zeit für die Kreaturen der Nacht. Kröten, Moskitos und große Spinnen. Um dem aus dem Weg zu gehen, spannen wir hier zum ersten Mal unsere Mückenschutznetze auf. Es macht auch irgendwie Spaß, in einem weißen Schutzkokon zu schlafen.
In den zwei vollen Tagen, die wir hier haben, machen wir zweimal die gleiche Wanderung. Die folgenden Bilder sind von Tag zwei. Da hatten wir Ausrüstung für Fotos dabei - wir mussten unbedingt noch einmal für die Fotos zurückkehren. Beim ersten Mal hatten wir nämlich nur Latschen und Badesachen dabei. Was wir da nämlich gemacht haben: Wir sind 2 Stunden am Fluss entlang durch Wälder, durch Bäche und über Hügel gewandert - sind in den Fluss gesprungen und haben uns mit der Strömung zurücktragen lassen.
Und die Dschungel-Wanderung und der anschließende Rückweg via aqua war für uns beide wohl das größte Abenteuer unserer ganzen Reise. Wie froh ich bin, dass ich nicht auf Taljas Idee eingegangen bin: "Das ist bestimmt zu gefährlich, wir sollten beide Richtungen laufen." Ihr müsst es euch vorstellen wie Wildwasser-Rafting ohne Rafting-Boot. Es war wahrscheinlich wirklich gefährlich. Zwischen ganz friedlichen Stellen mit seichter Strömung hatten wir 4-5 Stromschnellen, die wir überbrücken mussten. Strategie 1: auf hervorstehenden Steinen vorwärtsklettern Strategie 2: Schwimmbrille aufsetzen und wie ein Fisch unter Wasser herumnavigieren Strategie 3: sich treiben lassen und auf das Beste hoffen Das Beste heißt in dem Fall, dass man von der Strömung nicht mit dem Kopf gegen einen der allgegenwärtigen Steine geschleudert wird. Ist nicht so, dass wir uns immer an einem Stein festhalten können, manchmal ist's einfach zu wild. Insgesamt schwer zu beschreiben und schade für den Blog, dass wir da keine Bilder machen konnten. Gut für uns, dass wir auf keinerlei Technik achtgeben mussten. Und jetzt endlich zum Bild: Einen Rucksack für Brillen, Trinken usw. hatte ich trotzdem dabei. Hier leere ich grad das Flusswasser daraus aus.
Zurück zu Tag 2: Der gleiche Ausflug, bloß in beide Richtungen zu Fuß. An Tag eins haben sich unserer Wanderung kurzerhand Hund "Muttertier", "Edler Wolf" und "Treue Seele" angeschlossen. Es ist nicht überliefert, was sie sich gedacht haben, als sie realisiert haben, dass wir den Rückweg lieber schwimmen. Wofür man ihnen aber Respekt zollen muss: Die Drei haben uns den ganzen Weg am Fluss und durch den Fluss hindurch begleitet (begleitet auch von Taljas Befürchtung, dass einer von ihnen in der Strömung oder im Urwald drauf gehen könnte). Heute, am Tag 2, sind die drei Abenteurer wieder dabei (und sogar noch zusätzlich "Der Helle Wildfang", dem sie wahrscheinlich vom Abenteuer erzählt haben). Hier jedenfalls Talja mit "Treuer Seele". "Treue Seele" heißt so, weil er an beiden Tagen der einzige perro ist, der nicht vor uns durch den Wald sprengt, sondern uns bei Fuß begleitet, beziehungsweise ständig knapp davor ist, in unsere Hacken reinzulaufen.
Wie gesagt, Tag 2 nochmal die gleiche Wanderung, weil wir die Aussicht über das unberührte Gebirge nicht nur einmal sehen wollten. Und für die Fotos eben. Stichwort unberührt. Nicht ganz. In der Sierra Nevada leben heute noch 4 indigene Völker mit ca. 20.000 Köpfen. Die meisten davon haben zuvor an der Küste gelebt und wurden von den Kolonialisten in das Gebirge vertrieben. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts war die Region hier Hauptrückzugsgebiet der Guerilla-Kämpfer der ELN und der FARC. Dazu war die Sierra Hochburg des klandestinen Marihuana- und später Koka-Anbaus in den 70ern und 80ern. Uns wurde gesagt, dass wir auch zu einem indigenen Dorf hätten wandern können. Irgendwie war uns aber nicht wohl dabei, da zu zweit aufzukreuzen. Als was - als die x-ten Touristen, welche die Menschen beim Leben anschauen?
Ich hab auch mal ein Bild mit einem Hund gemacht. Es gibt auch noch ein anderes, aber es wurde mir verboten, jenes zu veröffentlichen.
Talja und "Edler Wolf". Das Bild hier geht ganz klar schon in Richtung Hunde-Propaganda.
Talja macht sich Sorgen, dass die Hunde einen Hitzekollaps bekommen und ist kurz davor, unsere letzen Wasservorräte auf "Muttertier" zu gießen. Hier ist die Hüterin der Hunde im Bach vereint mit ihrer Schützlingsschar. In einem ähnlichen Bach sehen wir auch einfach ein großes Schwein. Klar, warum nicht?