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Potosí, Sucre, Santa Cruz - Bolivien schnell und langsam

von Max

1. September - 8. September 2022

Es sind Tage der Gegensätze. Tage, in denen wir nach Puno, La Paz und Uyuni weit davon entfernt sind, an einem Ort mal für längere Zeit zur Ruhe zu kommen. Die Rückfahrt aus der Wüste nach Uyuni hat uns beide extrem geschlaucht. Um 20 Uhr haben wir noch einen vierstündigen Bus nach Potosí. Ich schleppe mich mit letzter Kraft in den Bus und bis zum Ziel. Also ich war echt fertig. Zum Glück haben wir auf den richtigen Beistand gesetzt: unser Hostel "Compañia de Jesus" hat auch nach Mitternacht noch offen.

Potosí plaza

Jetzt ist Potosí auf etwas über 4000 m Höhe nicht der Ort, an dem wir uns länger niederlassen wollen. Anders war es Anfang des 17. Jahrhunderts. Zu dem Zeitpunkt war Potosí mit rund 150.000 Einwohnern die nach London zweitgrößte Stadt der Welt. Und das in einem Klima, das so gut wie keine Landwirtschaft erlaubt und in dem es selbst im Sommer kaum mal über 15 Grad warm wird. Warum nochmal lebten hier jetzt also derart viele Menschen?

Cerro Rico

Der Grund dafür liegt im Cerro Rico, dem reichen Berg, begraben. Der Berg war die größte Silbermine des gesamten Spanischen Reiches. Potosí war so reich, sagen sie hier, die Spanier hätten eine massive Brücke aus Silber von hier bis nach Madrid bauen können. Und eine weitere Brücke daneben aus den Knochen der Indigenen, die in der Mine beim Abbau gestorben sind.

Gitarre

Wir haben andere Touristen getroffen, die uns eine Tour in die noch heute aktive Mine empfohlen haben. Wir belesen uns und nehmen einen riesigen Schritt Abstand von der Idee, sich unter Tage in ein Reich zu begeben, bei dem regelmäßig Arbeiter (und Touristen) bei Unfällen ums Leben kommen. Oder, wenn alles gut läuft, den Arbeitern und Kindern bei ihrem Knochenjob zuzuschauen. Arbeiter, die kaum älter als 40 bis 50 Jahre alt werden. Wir beschießen, nach unserer dringend notwendigen Übernachtung hier den Tag in der Stadt zu verklimpern und abends weiterzuziehen.

Casa de la moneda Bacchus

Bacchus als Gott der Weines und des Hedonismus könnte das hier darstellen, so richtig sicher ist man sich nicht, was das Wahrzeichen der Stadt eigentlich sein soll. Jedenfalls hängt es im Casa de la moneda (Haus der Münze), dem jetzigen Museum und alten Manufaktur zur Silberverarbeitung und Münzprägung. Das Spannendste ist die wahnwitzige Anzahl und Formenvielfalt an Silbermineralien, Wolframiten, Sulfiten, Carboniten, Freibergiten (sic!) und violetten Megadiamanten.

Dino mit Rucki

Bevor wir hier gar keine Luft mehr kriegen, orientieren wir uns noch zum Park, weil ich auf Google gesehen habe, dass es da einen lebensgroßen Dino und Rutschen gibt. Da haben auch Leute Fußball gespielt. Wir haben nicht so viel Zeit, aber eigentlich hätte ich das auch gerne mal ohne Luft in der Lunge ausprobiert.

Letztes Lama

Das ist das bis auf Weiteres letzte Lama, dem wir auf unserer Reise begegnen. Deswegen hat es auch eingewilligt, dieses eine Selfie mit uns aufzunehmen.

schönes Haus

Wie gestern haben wir zum Abend wieder eine mittellange Busfahrt und erreichen dann die bolivianische Hauptstadt Sucre auf milden 2800 Metern.

Autofreie Straßen

Der Sonntag bricht an, wir gehen auf die Straße und uns beschleicht ein merkwürdiges, aber gutes Gefühl. Alles ist etwas unheimlich ruhig, gleichzeitig sind so viele Menschen unterwegs. Nach einer Weile stellen wir fest, was los ist: es gibt keine Autos auf den Straßen. Tatsächlich ist die gesamte Landeshauptstadt heute für jegliche Motorisierung blockiert. Wir sehen dutzende Leute mit Fahrrädern; Spaziergänger; Kinder, die auf der Straße spielen. Mal kurzes Kopfkino, was wäre, wenn Berlin für einen Tag alle Autos verbieten würde.
Speziell liegt es am Bartholomäus-Tag, den die Leute hier mit einem so gewaltigen Umzug feiern, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen habe. Ich stoße später beim Laufen auf den kilometerlangen Zug aus Tänzern, Models und Musikern. Es wären auch gar keine Leute zum Autofahren übrig, es sind ja alle entweder mit Musikmachen oder Zuschauen befangen. Und dann erzählt uns unsere Gastgeberin, dass das nur die Probe für den richtigen Umzug nächste Woche ist. Bolivien hat es echt raus.

Talja nachts

Talja hat die Kälte und Strapazen nicht so gut überstanden und so beschließen wir, gleichmal 5 Tage in Sucre zu bleiben.

Portugues Dummies

Ich mag die Stadt hier schon, aber mein Einkaufsbummel für dieses Buch hat mich fast verzweifeln lassen. Während wir allein auf unserem Weg zum plaza de armas an 12 Bankautomaten von 11 verschiedenen Banken vorbeikommen, schaffe ich es in einer halben Stunde Herumschleichen nicht, einen einzigen Buchladen zu finden. Dann nennen sich dutzende Geschäfte librerias (Büchereien) und verkaufen doch nur Schreibblöcke und Kugelschreiber. Nachdem der einzige Buchladen einer ist, indem kein einziges Buch nicht von einer großen abrahamitischen Religion handelt, will ich schon meine Fahnen streichen und heimkehren. Nur durch großen Zufall biege ich noch einmal in eine Seitenstraße ein und entdecke endlich eine große Bücherauslage. Dort dann kaufe ich dieses Buch hier. In unserem nächsten Reiseland sprechen sie nämlich einen merkwürdigen Dialekt des Spanischen, dem wir uns ab jetzt mal genauer widmen.

Casa Independencia

Auch in Sucre gibt es ein wesentliches Museum, diesmal das casa de la independencia, das Haus der Unabhängigkeit, in dem 1825 nach dem Unabhängigkeitskrieg der erste Präsident Simón Bolívar (Mitte unten) und der zweite Präsident der Republik, Antonio José Sucre (Mitte links), das entsprechende Dekret zur Selbstständigkeit unterzeichneten. Bolívar übrigens hatte nur wenige Monate Zeit für den Präsidentenjob, weil er sich dann wieder um die Staaten weiter nördlich kümmern musste.

Portal 2

Talja gönnt sich noch ein bisschen Schonung und ich gönne mir einen Ausflug zum Parque Cretácico (Kreide-Park, in Anlehnung an den Jurassic Park). Vor dem Eingang finde ich mich erstmal vor dieser riesigen Industrieanlage wieder, aus der alle 10 Sekunden das Geräusch einer elektrischen Entladung die Stille aufrührt. Fühlt sich an wie in einem dystopischen Computerspiel (Portal 2).

Asaurus

Der Kreide-Park also ist wie der Dinosaurierpark im sächsischen Kleinwelka bestückt mit lebensgroßen Dinosaurierplastiken (aber mit fragwürdiger Farbgebung).

Titanosaurus and me

Dann erfülle ich dem Titanosaurus seinen Wunsch für dieses Selfie. Wir müssen erstmal etwas herumexperimentieren, um eine geeignete Fotoposition zu finden. Wer mehr über riesige Sauropoden, speziell den berühmten Brachiosaurus im Lichthof des Berliner Naturkundemuseums, dessen Ausgrabungsleiter der gebürtige Herzberger Walter Janensch war, erfahren möchte, dem sei diese Podcast-Folge ans Herz gelegt.

Die Wand Cal Orck'o

Aber warum haben sie hier inmitten der bolivianischen Betonindustrie eigentlich einen Dinosaurierpark angelegt? Der Grund befindet sich an dieser riesigen Wand, genannt Cal Orck'o. Was ihr hier seht, ist die weltweite größte Fundstelle von Dinosaurierspuren, mehr als einen Kilometer lang, 80 Meter hoch, mit 464 Pfaden von 15 Dinosaurierspuren und insgesamt rund 10.000 Fußspuren.

Die Titanospuren

Die größten Abdrücke (70 cm) hinterließ, wie hier zu sehen, der Titanosaurus. Die ganze Szenerie war früher ein sumpfiges Seeufer, an dem die Saurier umherflaniert sind. Durch Überschwemmungen und Sedimentablagerungen entstanden so in der späten Kreidezeit vor 68 Mio. Jahren mehrere Schichten von Fußspuren (vor ein paar Jahren ist ein großes dreieckiges Stück von der Wand durch Erosion abgefallen, dahinter waren dann noch mehr Spuren als an der originalen Wand zu finden). Durch die gleichen plattentektonischen Prozesse, die auch die Anden aufgefaltet haben, wurde danach aus einem Seeufer diese um 70° geneigte Wand.

Sucre plaza

Ein letzter Blick auf Sucre und Antonio José Sucre, nachdem ich wie auch auf der Hinfahrt zum Park als einziger Passagier aus dem Dino-Bus steige.

Nachtbus 180 (3 * 30 kg)

Seidem wir in Mexiko zweimal die Nacht in einem herkömmlichen Reisebus verbracht haben (und es nicht mochten), sind wir seit Peru auf den Nachtbus-Zug aufgesprungen. Meist haben die Sitze dann viiiiel Freiraum und 160° Neigung (einmal hatten wir uns sogar einen mit 180° Neigung gegönnt). Wir fahren gemütlich durch die Nacht. Ein Pärchen in Sucre hatte uns erzählt, dass sie auf der gleichen Strecke nachts gebeten wurden, mit ihrem Gepäck eine Weile zu einem Ersatzbus zu laufen. Sie liefen dann zwei Stunden lang. Und da wäre man mit dem Schleppen unserer Rucksäcke noch gut dran. Meistens fahren hier Einheimische mit, die 2 bis 3 Säcke voller Getreide oder Kartoffeln, so an die 20 kg schwer mit auf die Reise nehmen.

Tauben Santa Cruz

Ein Novum auf unserer Reise: wir verbringen zwei Nächte hintereinander im Nachtbus. Von Sucre nach Santa Cruz de la Sierra und von Santa Cruz an die brasilianische Grenze. Santa Cruz ist die größte Stadt Boliviens und anscheinend auch die Stadt mit der größten Taubenpopulation. Hier sind wir jetzt wieder im tropischen Flachland. Es weht ein enormer Wind.

komischer Aufsteller

Da stand so ein merkwürdiger Aufsteller in Santa Cruz. Für mich sind das Ohngesichter (aus Chihiros Reise ins Zauberland), aber wir denken nicht weiter groß drüber nach.

Buddha Bowls

Worüber wir allerdings noch länger nachdenken, ist der Geschmack dieser exzellenten Buddha Bowls. Abends dann essen wir noch die (meiner Meinung nach) beste Falafelrolle der Reise in der Stadt. Den Genuss-Dreiklang heute zerstört nur die Açai-Bowl am Morgen. Gerichte mit der Açai-Frucht gibt es ab hier überall, aber schmecken tut sie nicht.

Terminal Santa Cruz

Das hier ist aus unserem Plan geworden, unsere erste Zugfahrt der Reise von Santa Cruz bis an die brasilianische Grenze zu bestreiten. So bleibt uns die Entscheidung erspart, ob wir
a) den Zug nehmen, der doppelt so lange braucht wie der Bus, oder
b) den Zug, der nur 5 Stunden länger braucht, aber den dreifachen Preis des Busses kostet.
Der Bus- und Bahn-Hof ist seit der Pandemie nur noch Ersteres und wir nehmen also wie schon erwähnt den zweiten Nachtbus in Folge.

Grenze, Clara Ida

An der bolivianisch-brasilianischen Grenze angelangt entsteht hier dieses Bild als Reaktion auf die Nachricht der Geburt meiner Nichte zweiten Grades.

Reisepass füllt sich

Die ersten zwei Menschen in Brasilien, die Grenzbeamtin und die Taxifahrerin, haben die gute Laune ganz sicher nicht erfunden. Aber die haben ihren Job erfüllt. Unser Reisepass füllt sich (und jedes Land hatte bisher einen schöneren Stempel als Brasilien)!