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Filandia - Wir hatten uns Finnland anders vorgestellt

von Max

02. Juli - 08. Juli 2022

Vom Örtchen Salento ist's nicht sehr weit zum Örtchen Filandia. Aber wir haben uns auf der Suche nach Abenteuer etwas weiter draußen eingemietet. Im Tukawa Hostel, nochmal eine Dreiviertelstunde Schlaglochpiste außerhalb. Alles andere als ein Jeep hätte sich hier sämtliche Achsen gebrochen. Es begrüßt uns Ingrid: mittleres Alter, rauchige Stimme, gemachte Lippen, autoritäre Ausstrahlung. Ich fühle mich wie im Hort.
Kurz nach Ankunft gibt es Abendbrot: Lasagne, wir bestellen vegetarisch. Sie servieren etwas, was schmeckt, als hätte es drei Jahre im Ölkeller überwintert. Es lassen sich Zwiebeln, Paprika und Ananas zwischen zwei, drei bemitleidenswerten Nudelplatten mit etwas barmherzigem Käse identifizieren. Mit abschätzigem Blick räumt Ingrid unsere angestocherten Teller wieder ab, als würde sie einen festgefahrenen Marder von der Straße abkratzen. Wie viele Nächte müssen wir nochmal hier bleiben? Live-Zitat aus der ersten Nacht im Hostel:

"O Jott, wo sind wir denn hier reingeraten? Wir sind nicht darauf vorbereitet, oder haben das Kleingedruckte nicht gelesen, aber ab 21:30 Uhr bis 1:30 Uhr wird hier von drei Vierteln der Gäste zu den schlimmsten Reggaeton-Hits der Jahre 2015 bis 2022 getanzt. Unpopuläre Meinung: Die meisten Lieder waren noch nicht mal toll, als sie erschienen sind."

Pool Entfernung

Und dann schlafen wir ein, lassen die Sonne aufgehen und schauen uns das Ganze mal mit neuen Augen an. Was ist denn das da hinter der fantastischen Palme?

Pool Pracht

Ah, yes!

Hund Tukawa

Einer von zwei obligatorischen Hostelhunden. Das und die Naturfülle mit Wandermöglichkeiten und die schwierige Anreise und die Alternativlosigkeit des Hostel-Essensangebots erinnern uns doch stark an unser Abenteuer in der Sierra Nevada. Eine Sache ist anders: Die Besitzer hier sind keine Briten, sondern Franzosen. Und weil Franzosen auch schon gerne mal klumpen, ist es so, dass ca. 3 von 4 Gästen hier im Tukawa Hostel ebenfalls frankophon sind. Franzosen machen nämlich etwas, wovon Deutsche Reißaus nehmen: sie organisieren sich in Facebook-Gruppen und empfehlen einander Hostels, die bestenfalls von Franzosen geleitet sind oder in denen viele Franzosen zu treffen sind. Oder zusätzlich Hostels, wie hier, die unglaublich schön sind.

Runterwandern

Sie haben hier also auch einen Bach, hieß es. Wir wandern 200 Stufen den Hügel herab ins Bambusfarntal und haben wieder einen Hund an den Fersen.

Unten mit Dani

Da ist der Bach. Mit dabei ist Daniela, unsere englisch-kolumbianische Hostelfreundin. Dani ist herrlich ungekünstelt und umgänglich. Spricht auch nicht so sehr Französisch, wie wir.

Max im Bach

Das Wasser hier kommt nicht nur direkt aus den Bergen des Nationalparks Los Nevados (Die Schneebedeckten [Berge]), es fließt auch noch seinem Ziel im Schatten entgegen. Nichts also mit Badengehen.

Ameisenhighway

Der Bambus hier ist ziemlich schräg. Einmal sogar horizontal. Die Blattschneiderameisen brettern drüber wie über eine nach unzähligen Generationen fertiggestellte Autobahn.

Weitblick

Kaffeeregion, haben sie gesagt, doch was man zuerst und überall sieht, sind die Bananenpflanzen mit ihren blauen Blüten.

Max in Bananen

Ah, das sind ja gar keine blauen Blüten, sondern UV-Licht absorbierende und Insekten fernhaltende Plastetüten! Muss man zweimal hinschauen.

Siedler mit Dani

Dani lässt sich bereitwillig auf eine Runde "Siedler von Catan" erklären und spielen ein. Mathieu, der Chef hier, kommt vorbei und erzählt uns, dass er ein großer Fan ist. Darüber hinaus schaut er 5 Sekunden aufs Spielfeld und beglückwünscht Dani gleich dazu, dass sie direkt an den Schaf-Feldern und zum Handeln am Schaf-Hafen bauen kann, wo ja Schaf auch noch der unnützeste Rohstoff von allen ist. Plus, er lässt fallen, dass er nächstes Jahr an der Siedler-Weltmeisterschaft in Medellín teilnimmt, wenn wir das richtig verstanden haben.
Und: "Klaus [Teuber] (Spielentwickler) is our hero!"
Wir sind beeindruckt und Talja gewinnt haushoch.

Ausritt 1

Während Max ausschläft, treten Dani und ich unseren Ausritt an. Die Hostelmitarbeiter versicherten mir, dass fehlende Erfahrung gar kein Problem sei und mit uns gemeinsam wohl noch eine ganze Gruppe an Leuten mitreitet. Punkt 7:30 Uhr sitzen wir vor dem Hostel und warten auf den Jeep, der uns zur Ranch bringt.
Meine Erwartung:
Wir, das heißt eine Gruppe von 10-12 Leuten, reiten gemächlich im Schritttempo durch die Kaffeelandschaft. Ein paar Ranchangestellte laufen nebenher, jederzeit bereit, in die Zügel der Unerfahren zu greifen.
Die Realität:
Die Gruppe besteht aus 3 Personen - Pferdehofchef Fabian, Dani und mir. Prompt sitzen wir auf dem Pferd - immerhin sei meines wohl das Ruhigste - die Beiden reiten vorne weg, schnatternd, und ich merke, wie wackelig so ein Pferderücken eigentlich ist. Hier fliege ich doch bestimmt innerhalb von 2 Minuten runter, denke ich. Helme gibt es natürlich nicht, wir sind ja schließlich in Lateinamerika.

Ausritt 2

Fairerweise muss ich dazu sagen, dass Dani sich sehr wohl um mich kümmert. Sie dreht sich immer wieder um, wartet und fragt, ob alles okay ist. Schon auf dem Pferd, schreie ich nach vorn und frage sie noch schnell, wie man so ein Pferd denn eigentlich lenkt. Ich saß als Kind ein paar Mal drauf, aber immer nur im Schritt und geführt am Zügel.
Und dann geht es irgendwie immer besser. Ich entspannte mich, fühle mich stabiler und kann die wunderschöne Landschaft, die Bäume und Wiesen, die Bäche und Wasserfälle, die Avocado-, Kaffee-, Guayaba- und Bananenbäume auf mich wirken lassen. Morrita, mein Pferd, verhält sich vorbildhaft, bis auf die drei Mal, wo ihr bellende Hunde an die Hufen springen und sie fluchtartig nach vorn prescht. Vielleicht ist sie von unseren drei Pferden die Bravste, sie hat aber auch mit Abstand am meisten Angst vor Hunden.
Glücklicherweise kann ich die Bekanntschaft mit dem Boden vermeiden.
Nach ca. anderthalb Stunden bekomme ich Lust auf ein bisschen mehr Tempo und frage Dani, wie ich das Pferd zum Traben bringe. Und es geht. Das Pferd des Chefs ist ein feuriger Hengst, der permanent tänzelt und es nicht schnell genug haben kann. Ein paar Mal galoppiert er los, daraufhin auch Dani und meine Morrita hinterher. Mein Kopf sagt: "Halt, Stopp, das ist viel zu schnell, wenn du bloß runterfällst!" Da ich mich aber zum Glück ganz gut halten kann, ist es ein unbeschreibliches Gefühl. So hüpfen wir nach 3 Stunden direkt aus dem Sattel an den Rand unseres Hostelpools, ich strahle übers ganze Gesicht und habe mit diesem Ausflug definitiv ein Highlight mehr auf unserer bisherigen Reise.

Talja Party

Am ersten Abend waren wir noch angenervt von der Party, heute ist Montag, aber trotzdem ist wieder Grund zu feiern, weil Ingrid, die Horterzieherin, Geburtstag hat. Und auf einmal macht es uns Spaß. Es kommt zwar viel französischer Quark, aber das ist schon besser zu hören, wenn man auf der Tanzfläche steht als im Bett liegt. Am meisten Spaß macht es, dem Chef hier beim Tanzen zuzuschauen ...

Mathieu Kaffee

... und hier ist er ein paar Stunden später bei der Tour über die Kaffee-Farm, die er zusammen mit dem Hostel leitet. Mathieu hat eine Menge ehrlicher und interessanter Geschichten über die Entstehung der Anlage zu erzählen. Wir lesen beide grade ein Buch von T. C. Boyle, in dem drei Jungs Marihuana in den Bergen von Kalifornien anbauen. Die Stories ähneln sich.

Schreinerei

"Hier arbeitet Antonio und schreinert die Tische, Stühle und Möbel für unser Hostel."

Avocado

Das hier ist ein Avocado-Baum. Wir hätten bisher nicht sagen können, dass Avocados an Bäumen wachsen.

Ananas

Was wir aber nicht gedacht hätten, ist das hier. Ananas wachsen hier aus dicken Grashalmen am Boden. Sie bauen neben dem Kaffee und den Bananen auch Früchte an und servieren sie zum Frühstück (oder tun sie in die Lasagne). Auch einen Papaya-Baum haben sie. "Aber wir haben uns versprochen, sie den Gästen nie zum Essen anzubieten. Die einzigen Leute, die Papaya mögen, sind die Latinos."

Rote Banane

Die roten Bananen hier sind wie die Lasagne am ersten Abend: im Gegensatz zu ihren Verwandten nicht essbar.

Priesterpute

Dann wird uns vom Chef Mathieu eine Tour zum "Priester" schmackhaft gemacht. Im wahrsten Sinne des Wortes handelt es sich hierbei um einen kulinarischen Ausflug, bei dem uns ein Buffet von einem ehemaligen Kapuziner-Mönch und jetzigem Pastor bereit wird. Mit uns am Tisch sind zwei Franzosen, die die seltene Gabe besitzen, nach 6 Monaten Reise durch Südamerika weder Englisch noch Spanisch zu sprechen. Der Priester tischt auf, als hätte er einen ganzen Gemeindesaal durchzufüttern. Wir betrachten die unzähligen servierten Hähnchenschenkel etwas skeptisch, nachdem wir dieses armselige Exemplar Geflügel über den Hof kriechen sahen.

7 Wonders Duell

Das Bücherangebot (Irving, Marquez, Follett, ...), Spielesortiment ("Dominion", "Citadels", "Siedler von Catan" , ...) und Zeitschriftenspektrum ("Tintin", "Relief", ...) ist exzellent mit einer Schwäche: alles ist französisch. Ich kümmere mich trotzdem darum, die Regeln von "7 Wonders Duel" aufzuspannen. Wir bereuen es nicht, sondern spielen gleich zweimal.

Abschied Tukawa

Zum Abschied bleiben wir noch bis nach dem Mittag, ich gehe nochmal mit dem vierschrötigen Hund runter zum Fluss und wir genießen ein weiteres Mal den Pool. Ich bitte die zweite Chefin hier dann, ein Foto von uns beiden vorm Pool zu schießen. Was sie versteht: Selfie zu dritt.

Anhalter Yasin

Wir müssen an der nächsten Straße den Sammelbus zurück nach Filandia nehmen. Nach 15 Minuten Warten und kurz vor der prognostizierten Ankunft des Buses hält ein Toyota 50 m vor uns, legt den Rückwärtsgang ein und Yasin und ihre Tochter bitten uns, einzusteigen, sie führen eh nach Filandia. Was sie uns nicht gesagt haben: Yasin ist Lehrerin und veranstaltet währenddessen noch zwei Zeugnisausgaben bei Schülern, die ihren Wohnsitz irgendwo in der näheren Region haben. Aus 40 Minuten Busfahrt werden 2 Stunden per Anhalter auf dem Rücksitz von Yasins Kleinwagen.

Max auf Plaza

Aber ist schon okay, wir freuen uns über jede Gelegenheit, mal mehr als die üblichen Floskeln Spanisch zu sprechen. Zeitdruck haben wir auch nicht, wir ziehen ja nur von der Wildnis ins Dorf nebenan. Filandia ist, da sind wir uns einig, noch einmal schmuckvoller als Salento.

Kirche Filandia

Zum Beispiel haben die hier eine Kirche ...

Straße Filandia

... und sogar eine Straße (kackt der Hund da grade!?).

Senor Wok

Das meistfrequentierteste Ziel für uns ist jedoch "Señor Wok". Wir kehren dreimal in dem Laden ein, zusammen mit der Riesenschüssel, die wir vorsorglich für die lange Busfahrt ordern, esse ich den vegetarischen Reis hier fünfmal. Nach dem dritten Mahl habe ich noch einen Termin auf dem Fußballplatz. Ich hatte gestern mal angefragt, ob hier Leute mal abends ne Kugel schieben und wurde prompt zu einem Training am nächsten Tag eingeladen. Ich finde mich wieder zwischen 3 Jugendmannschaften und renne etwas hilflos über den Rasen bei dem Versuch, wahlweise aus den über den Platz gebrüllten Übungsanweisungen auf Spanisch oder den slangbehafteten Erklärungen meiner Mitspieler irgendeinen Sinn zu ziehen.
Es stellt sich heraus, dass der "Filandia FC" Jugendliche aus allen Teilen des Landers rekrutiert, trainiert vom ehemaligen kolumbianischen Nationalspieler Elkin Murillo. Ich erzähle Elkin, was ich so tue, Elkin erzählt mir, dass er ein Trikot von Ballack hat (vielleicht von der 0:3 Niederlage gegen Deutschland kurz vor der WM 2006). Nach dem Training, in dem ich mit meinen Laufschuhen eine Sportart praktiziert habe, die mehr nach Eiskunstlauf als nach Fußball aussah, werde ich dann von 10-15 Jungs umringt wie ein exotisches Tier im Zoo. Ob ich Toni Kroos persönlich kenne oder wenigstens irgendjemanden aus der Bundesliga? Messi oder Ronaldo? Kannst du uns einen Vertrag bei einem europäischen Verein klarmachen? Wie viel kostet ein Flug nach Deutschland?

Mirador von oben

Filandia besticht zudem noch durch einen Aussichtsturm, der aussieht wie ein hölzernes Wespennest mit Stacheln. Auf dem Weg nach oben werden wir teilweise aufgeklärt, was es mit den Namen hier in Quindio auch sich hat. Ich hatte schon gegrübelt, ob es ein Zufall ist, dass sich hier ein "Filandia", "Armenia", "Montenegro" und "Barcelona" befinden, abgerundet durch "La Greca", "La Suiza" und "La Espanola" neben einem Naturreservat namens "Bremen". Zumindest die ersten drei Namen scheinen nichts mit den entsprechenden Ländern zu tun zu haben. "Filandia" ist die "Tochter der Anden" und "Montenegro" ist eben auch nur ein "Schwarzer Berg". Da sind eher die Ex-Jugoslawen in Erklärungsnot, von wem sie ihren Namen geklaut haben.

Jeep I

Touris wie wir tun alles dafür, sich nicht wie Touris fühlen zu müssen, nicht das zu machen, was andere Touris machen und am besten auch nicht als solche wahrgenommen zu werden. All das mussten wir dafür aufgeben, vor dem Aussichtsturm in Poncho und mit Flagge fotografiert zu werden.

Jepp II

Ich hätte in dem Moment lieber in einem hängengeblieben Fahrstuhl gesteckt, als in der Fotoschlange anzustehen. Abhängig vom Talent der Fotografin kann so ein Shooting dann aber sogar Spaß machen.

Encanto Zauberei

Encanto, der magische Disney-Megaerfolg ist angelehnt an Filandia, Salento und Drumherum. Wir sollten ihn auch langsam mal schauen, genau wie Coco über Mexiko.

Katze wartet, dass wir abhauen

Nur eine freut sich überhaupt nicht, dass wir da sind. Die Hostelkatze hier wartete zwei lange Tage lang darauf, dass wir endlich abhauen. Wir tun ihr den Gefallen und schließen den Kreis dort, wo er begonnen hat - in Bogotá.