Titelbild

Neuquén & Puerto Madryn - Kleine Meerbewohner, Große Meerbewohner

von Max

25. November - 29. November 2022

Kalter Schweiß. Unwohlsein. Beklemmung. Ich bin aus einem Albtraum aufgewacht. Zwei Wochen lang musste ich alle Hunde-Podcasts auf Spotify ("Hundestunde", "HundeRunde", "Tierisch menschlich", "Der Cleverdog Podcast", "Der will nicht nur spielen", "Dog It Right", "Hundegeflüster", ...) hören. Wo geht es raus und wie lange noch? Zwei Wochen? Zwei Wochen gefangen, dann gelingt der Absprung.

Wir sehen, wie sich die patagonischen Berge über erst größere und dann immer kleinere Hügel und Schwünge in die Pampa auffalten. Und da gilt dann: Hat man da mal 5 Minuten aus dem Fenster geschaut, weiß man, wie es in halb Argentinien aussieht: dornige Sträucher, Büsche, Grasbüschel. Nichts, was höher wächst als ein Nashorn. Aber faszinierend - wir hätten hier nicht nur drüber hinwegfliegen wollen. Und kurz vor Neuquén lockern dann Ölpumpen die einheitliche Landschaft auf.

Parque Central

Neuquén, die Haupstadt der Provinz Neuquén, die größte Stadt Südargentiniens und Patagoniens, hat auch einen Central Park. Hier haben wir eine Nacht und einen Tag als Zwischenaufenthalt zum Durchatmen und Schmutzabwaschen. Gleich nach der Ankunft gehe ich laufen. Es ist später Abend, aber noch immer liegt eine etwas perverse Wärme über der Stadt. Wir sind das lange nicht mehr gewöhnt und fühlen uns sofort wieder nach Mexiko, als es dann auch am nächsten Tag 36° warm wird.

LeinwandSelfie

Heute haben wir kleinere Teilmissionen: nochmal Geld abheben (das vorletzte Mal bei Western Union), öffentliche Toiletten finden (in Argentinien schwierig), etwas Leckeres essen (ein Veggie-Burger), zum Friseur gehen (klappt auch) und:
in angemessener Atmosphäre das zweite Gruppenspiel der Argentinier gegen Mexiko schauen. Und das kriegen wir in dieser mitfiebernden Bar mit unsrem Platz zentral vor der Leinwand am allerbesten hin.

Feiern draußen

Das Spiel ist mager, doch Messi hat einmal vorm 16er zu viel Platz, macht das 1:0, legt das 2:0 auf, und Argentinien müht sich zum Sieg nach der blamablen Auftaktniederlage gegen Saudi-Arabien.
Als kein großer Prophet muss ich hinabgestiegen sein, um zu ahnen: das war sehr wichtig für die Stimmung im Land. Wir treten auf die Straße und sehen (was wir auch schon so erhofft hatten), wie wichtig es für die Leute wirklich war.
Eine Menschenmenge hat sich schon zusammengefunden, tanzt und hüpft auf der Straße, es werden mehrere Motorräder herangeschoben und der Jubel zum Takt ihrer Fehlzündungen fortgesetzt. Bis zu unserem Nachtbus liegen wir noch ein paar Stunden im Park und hören bis zuletzt das Hupen des Autokorsos.

Lobos?

Dann sind wir (erst zum zweiten Mal auf der Reise) am Atlantik, in Puerto Madryn. Ein Pier führt hinaus in die Bucht und Talja schaut hinaus auf das Wasser, schaut und sucht und findet erstmal nichts.

Lobos!

Und doch! Auf den Treppenstufen räkeln sich ein paar lobos marinos (wörtlich Seewölfe, im Deutschen Seelöwen, aber eigentlich Mähnenrobben ... es ist kompliziert). Es sind sehr merkwürdige Wesen. Das Männchen verscheucht die anderen Tiere von seiner Stelle, die dann die Treppenstufen auf- und abrobben. Die Wurst links sieht aus, als hätte sie gar keine Gliedmaßen am Körper.

Muschelwände

Einen Tag später haben wir seit Ewigkeiten mal wieder eine gebuchte Tour geplant. Was wir uns vorgestellt haben: ein Bus oder Kleinbus mit anderen Touristen oder Backpackern aus verschiedenen Ländern, vielleicht ein paar Bekanntschaften, einen netten Tourguide. Was wir bekommen: Eine Tour mit Juan in seinem privaten Toyota-5-Sitzer, zusammen mit dem argentinischen Vater Bumi und seiner jungen Tochter Victoria.

Hätte Wal sein können

So müssen wir unsere Erwartungen einer entspannten passiven Erzähltour spontan umstellen auf eine stundenlange Unterhaltung über dies und jenes mit unserem Privatchauffeur. Jetzt erzähle ich von dem ersten Fehler auf der Reise, den wir bereuen. Während wir hier an der Küste aus Muschelkalk abhängen, sind Bumi und Victoria nämlich in der Bucht mit dem Boot unterwegs. Um was zu machen? Wale (Südkaper) zu beobachten. Wir aber waren zu geizig, für die Bootstour nochmal extra zu bezahlen, zumal man uns gesagt hat, dass man die Wale unter Umständen auch vom Ufer sehen kann.

Max zeigt was

Also haben wir zwei Stunden Zeit, aufs Meer hinauszuschauen, aber wir sehen nichts. Die Walsaison ist beinahe zuende. Zur Zeit sind nur noch ein Walweibchen und ihr Junges in der Bucht unterwegs. Ein bisschen hatten wir auch Bedenken, eine Tour zu buchen und am Ende gar nichts zu sehen. Aber ich finde es trotzdem spannend, dass alles, worauf wie stehen, aus Muscheln besteht. Das Wasser ist von karibischer Klarheit. Würden die Wale doch nur am Ufer herumschwimmen (oder am besten gleich an Land kommen...).

Elefantes am Strand

Nach der Wartezeit beginnen wir die eigentlich Tour auf die Halbinsel Valdés. Einerseits mit der üblichen monotonen Pampa-Vegetation ausgestattet, bietet die Halbinsel diversen Tierarten Platz und ist darin so besonders, dass dabei sogar ein UNESCO-Weltnaturerbe dabei rausspringt. Und was wir hier sehen wie schlecht angeordnete Nürnberger Rostbratwürste auf dem Gartengrill, sind elefantes marinos - Seeelefanten - die größten Robben der Welt.

Elefantes am Strand II

Die Schilder sprechen hier von Männchen mit bis zu 6 Metern Länge und 4.000 Kilo Gewicht. Ich würde mich wundern, wenn wir so ein Riesenexemplar gesehen hätten. Vier Tonnen kommt uns schon sehr heftig vor.
Funfact: Seeelefanten haben den am deutlichsten ausgeprägten Sexualdimorphismus aller Säugetiere. Vereinfacht gesagt: die Weibchen sehen aus, wie man sich eine ganz normale Robbe vorstellt. Im Gegensatz dazu sind die Männchen aber viel größer und haben diesen unglaublich unvorteilhaften Rüssel im Gesicht, der der Gattung zu ihrem Namen verhilft.

Hier schauen wir ganz besonders genau hin. Nicht unbedingt auf die meist reglosen Seeelefanten, sondern in Erwartung etwas Größeren, was sich von Zeit zu Zeit durch die Wellen nähert. In diesen Gewässern leben Schwertwale (Orcas), die eine ganz besondere Jagdtechnik entwickelt haben. Bei Flut kommen sie zu mehreren bis in das flachste Gewässer - lassen sich quasi stranden - und tun sich gütlich am reich gedeckten Tisch der Robben, denen, sobald sie aus Panik ins Meer fliehen wollen, der Weg von den Orcas abgeschnitten wird. Wie das Schauspiel genau funktioniert, hätten wir gerne beobachtet. Wir warten und warten und schauen und sehen doch nichts. Dabei sollen hier vor zwei Tagen Orcas gesichtet worden sein und morgen wieder. Aber hier ist uns das Glück nicht hold. Alle Seelefanten bleiben am Leben.

Durch die Pampa

Die typische Vegetation der Pampa. Was wir hier noch sehen, sind viele, viele Guanakos. Dazu Weidezäune, die für eine neue invasive Art auf der doch eigentlich geschützten Halbinsel gedacht sind: Schafe. Die Guanakos überspringen die Zäune normalerweise mühsam. Bis auf das tote Guanako, dass wir mit seinem Bein im Zaun verhangen am Straßenrand sehen. Es könnte hier auch eine Art Strauß und Pumas geben - die entdecken wir aber nicht.

Yarara Njata

In den 10 Minuten eines kleinen Küstenspaziergangs entdecken wir gleich mehrere Kleintiere. Die Schlange heißt Yarara Ñata und ein Schild weist darauf hin, dass sie giftig ist und ihre Sichtung bei einem Parkranger angezeigt werden soll. Wir finden dann aber leider keinen Parkranger.

Pinguinpaar

Und dann sind da noch diese Beiden.

Selfie mit Magellan

Magellanpinguine sind wohl nicht die schärfsten Seher. Sie scheinen nichts davon zu merken, dass Touristen wie wir direkt neben ihnen entlang wandern.

Die Kolonie

Vom Meer stapfen die Mitglieder der Kolonie erstmal diesen Abhang hinauf, um sich dann Höhlen für die Brut zu bauen. Direkt dort, wo sie die Menschen schon zum Beobachten erwarten. Und trotzdem kommen sie immer wieder genau hier her.

Schreihals

Kräftige Schreier sind sie auch. Guide Juan meint, dass tun sie, um ihren Partner heranzurufen. Magellanpinguine sind jedenfalls ihr Leben land monogam. Man siehts: sie stehen alle in Paaren herum. Übrigens sind das eher kleine Pinguine (praktisch genauso groß wie die Humboldtpinguine in Paracas). Sie folgen somit der Bergmannschen Regel, nachdem die größten Gattungen einer Tierfamilie an den Polen anzutreffen sind und kleinere Exemplare in Richtung der Tropen.

35K

Auf dem Rückweg durchqueren wir die vielleicht eindrucksvollste Gewitterfront, die wir je gesehen haben. Aber in Puerto Madryn ist dann alles wieder heile Welt (siehe Titelbild). Es gibt also keinerlei Ausreden, die 35 Kilometer nicht zu laufen.

DQ

Zwei alte Bekannte hat ihre Reise sogar hier bis nach Madryn verschlagen. Liebe Grüße bei Kilometer 29.

Nightfall 35K

Zum Nachtfall bei Kilometer 33 verabschiede ich mich auf dem Pier nochmal von einem der letzten langen Tage in Argentinien. Die Zeichen stehen für uns langsam auf Abschied.